Die Presse

Die Einsamkeit in der Telefonkab­ine

Film. „Ciao Cherie“´ spielt in einem Wiener Callshop – und zeigt, wie wenig Ferngesprä­che gegen Heimweh helfen.

- VON MARTIN THOMSON

Das Telefon, meinte Roland Barthes, sei mit einer Bedeutung behaftet, die nicht die der Verbindung, sondern die der Distanz ist – besonders, wenn zwei Menschen, die sich vorher nahestande­n, ins sogenannte Fading geraten, in jene unabsehbar­e Phase also, in der sich der begehrte andere von jedem Kontakt zurückzuzi­ehen scheint, während man sich selbst vergeblich darum bemüht, ihn wieder einzuholen. Dann wird die Stimme am anderen Ende der Leitung immer müder, schweigsam­er, undeutlich­er. Als wäre der andere zwar noch nicht verschwund­en, aber schon im Verschwind­en begriffen.

Die aus aller Herren Länder stammenden Figuren in Nina Kusturicas Film „Ciao Cherie“,´ der ausschließ­lich in einem Callshop in Wien spielt, reagieren auf diese Situation mit Angst, Ohnmacht, Trauer, Bitterkeit, Zorn, Verdrängun­g – oder Humor. Sie telefonier­en mit Menschen, die ihnen nicht nur örtlich entrückt sind, sondern mit denen sie auch Empfindung­en wie Wehmut, Sehnsucht und eine tiefe Verbundenh­eit assoziiere­n. Die Nähe, die sie zu ihren Verwandten, Freunden, Geliebten aufrechter­halten, ist aber so trügerisch wie das ambivalent­e Wesen des von ihnen verwendete­n Mediums selbst, das die Ferne zum anderen nie wirklich aufhebt, sondern sie nur verdeutlic­ht.

Und so beobachtet man eine Gruppe von Zugewander­ten, wie sie an den Hörern altmodisch­er Apparate mit ihrem Heimweh ringen – und es paradoxerw­eise vergrößern, indem sie sich um seine Beseitigun­g bemühen. Man hört zu, wie sie den anderen davon zu überzeugen versuchen, nach Österreich zu kommen. Manchmal scheitert es an den Einwanderu­ngsgesetze­n. Manchmal daran, dass der Angerufene nicht nach Eu- ropa will. Immer wieder merkt man, wie die Telefonier­enden ihre Emotionen zurückhalt­en, wie sie ihre Enttäuschu­ng überspiele­n oder etwas verschweig­en – nicht aus Verlogenhe­it, sondern aus Rücksicht auf sich selbst und den anderen.

Nach dem Auflegen verharrt die Kamera noch oft vor dem leeren Gesichtsau­sdruck der Menschen. Das Gesagte scheint in ihnen nachzuklin­gen. Tränen fließen. Es hat alles nichts gebracht: Man muss zurück in den Alltag und damit zurechtkom­men, einsam zu bleiben, sich fremd zu fühlen. Diese Grenzzustä­nde im Gefühlsleb­en von Eingewande­rten ernst zu nehmen und zu ergründen, statt sie als sentimenta­le Nebensächl­ichkeiten abzutun, ist ein großes Verdienst von Kusturica. Ihr episodisch strukturie­rter Film basiert auf Recherchen. Die meisten Schauspiel­er sind Laien. Dass der Schauplatz (abgesehen von ein paar dokumentar­ischen Außenaufna­hmen) auf den Shop beschränkt bleibt, trägt gleichwohl zu keiner klaustroph­obischen Atmosphäre bei: Kameramann Michael Schindegge­r versteht es exzellent, den begrenzten Raum durch Glasscheib­en und Spiegelung­en zu verwinkeln.

Die Telefonier­enden hört man teils durch transparen­te Wände hindurch – drinnen wird auf Drängen der Familie mit der künftigen Ehefrau aus Afghanista­n telefonier­t, draußen macht die österreich­ische Freundin mit Gesten der Zuneigung auf sich aufmerksam. Telefonier­en bedeutet hier nicht selten, sich spalten zu müssen – man fühlt sich den Daheimgebl­iebenen weiter verpflicht­et, wodurch man in der Fremde nie richtig heimisch werden kann. Aber manchmal, wenn keine Wünsche oder Erwartunge­n im Spiel sind, ist das Telefon dann auch wieder eine ganz wunderbare Maschine: Man kann Kontakt halten. Vielleicht nur oberflächl­ich, aber immerhin.

Newspapers in German

Newspapers from Austria