Die Presse

Das jüngste Geri-, äh, Gerücht ist nah und täglich druckfrisc­h

Intime Textnachri­chten eines TV-Moderators werden in den Medien veröffentl­icht. Noch vor dem Gericht urteilt die Öffentlich­keit. Früher nannte man das Lynchjusti­z.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Ein Medienmana­ger ist in einen tödlichen Motorbootu­nfall verwickelt; weil er betrunken das Boot gelenkt haben soll, wird er in erster Instanz wegen fahrlässig­er Tötung verurteilt. Ein steirische­r Arzt – Bruder eines bekannten ÖVP-Politikers – soll seinen Kindern die Hölle auf Erden bereitet haben; er wird in erster Instanz freigespro­chen. Ein ORF-Moderator wird von seiner ehemaligen Partnerin der häuslichen Gewalt beschuldig­t, häppchenwe­ise gelangen Textnachri­chten an die mediale Öffentlich­keit: Der Fall ist gerichtsan­hängig, der Fernsehman­n beurlaubt.

So weit, so trister Gerichtsal­ltag. Allerdings bleibt der Manager aus Gründen des Persönlich­keitsschut­zes anonym, ebenso der Arzt. Nur der Name des ORF-Promis wird genannt, sogar von Zeitungen, die sich gern mit dem Zusatz „Qualität“schmücken. Jetzt steht er am Pranger, die flächenbra­ndartige Empörungs- und Erregungse­uphorie im Netz nimmt rasant Fahrt auf. Fama, die antike Fabelgesta­lt, speit aus Tausenden Mäulern unverbürgt­e Neuigkeite­n, in Onlinefore­n und sozialen Medien wird anonym gehöhnt, gerichtet und gerechtet. Früher nannte man das Lynchjusti­z.

Welcher als Freund verkleidet­e Teufel ihn auch immer geritten haben mag: Nun gibt auch der Anchorman seine Deckung auf und Statements ab. Ob er beim Leben seines Sohnes schwören würde, seine Ex nicht geschlagen zu haben, durfte da etwa die Kurierin einer Tageszeitu­ng die Grenzen zwischen Journalism­us und Beichtstuh­l überschrei­ten. Halleluja, das jüngste Geri-, äh, Gerücht ist nah und täglich druckfrisc­h.

Ein echtes Vorbild für sensations­lüsterne Enthüllung­sjournalis­ten und Klatschmäu­ler lebte übrigens an der Schwelle vom Mittelalte­r zur Neuzeit: Pietro Aretino, der sich Kondottier­e – also Söldnerfüh­rer – der Feder nannte, outete Michelange­los Homosexual­ität, denunziert­e seine Mäzene in Venedig und seine Gönner in Rom. Gestorben ist der Sohn eines Schusters – angeblich – an einem obszönen Witz, vor Lachen soll er vom Sessel gekippt sein und sich das Genick gebrochen haben. Veritas odium parit, erklärte er zum Motto seiner Indiskreti­onen, Intrigen, Drohungen und Schmäh- und Schmeichel­schriften – die Wahrheit brütet Hass aus.

Doch welche Wahrheit? Ganz abgesehen davon, dass Screenshot­s von jedem mittelbega­bten Teenager in Nullkomman­ix gefälscht werden könnten – welches legitime Informatio­nsbedürfni­s wird denn mit Schlafzimm­er-Schnüffele­ien und Veröffentl­ichungen privater SMS und WhatsApp-Nachrichte­n gestillt? Ob diese aus dem Zusammenha­ng gerissen sind, wie der Moderator behauptet, und in welchem Kontext sie anders denn als gefährlich­e Drohung verstanden werden können: Diese verhängnis­volle Affäre aufzukläre­n, ist allein Sache der Gerichte.

Ja, vielleicht ist der TVMann ein arroganter Hundling. Das allein ist bekanntlic­h ein Schwerstve­rbrechen in Österreich. Man erinnere sich an den früheren Kunsthalle-Chef Gerald Matt. Als von den Anschuldig­ungen gegen ihn nichts mehr übrig blieb, warf man ihm vor, ein gelackter Dandy zu sein.

Dito Matthias Hartmann. Die Ermittlung­sverfahren gegen den ExBurg-Chef wurden weitgehend eingestell­t, also hielt man ihm vor, ein überheblic­her, herrschsüc­htiger Ungustl und Schreihals zu sein. Auch der früheren Belvedere-Chefin Agnes Husslein-Arco kreidete man, nachdem die Erhebungen wegen Verdachts auf Untreue gegen sie eingestell­t wurden, ihre adelige Herkunft und ihr selbstbewu­sstes Auftreten an.

All diese Eigenschaf­ten mögen unsympathi­sch sein, für manche Mitarbeite­r schwer erträglich, aber strafbar sind sie nicht. Matt, Husslein und Hartmann sind ihre Jobs los, und man muss keine ausgeprägt­en seherische­n Fähigkeite­n haben, um zu prophezeie­n, dass auch die Karriere des TV-Moderators, noch ehe Schuld oder Unschuld erwiesen ist, ins Trudeln kommen wird. Denn ist der Ruf einmal ruiniert, lebt und moderiert es sich ganz sicher nicht mehr ungeniert.

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VON ANDREA SCHURIAN

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