Das jüngste Geri-, äh, Gerücht ist nah und täglich druckfrisch
Intime Textnachrichten eines TV-Moderators werden in den Medien veröffentlicht. Noch vor dem Gericht urteilt die Öffentlichkeit. Früher nannte man das Lynchjustiz.
Ein Medienmanager ist in einen tödlichen Motorbootunfall verwickelt; weil er betrunken das Boot gelenkt haben soll, wird er in erster Instanz wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Ein steirischer Arzt – Bruder eines bekannten ÖVP-Politikers – soll seinen Kindern die Hölle auf Erden bereitet haben; er wird in erster Instanz freigesprochen. Ein ORF-Moderator wird von seiner ehemaligen Partnerin der häuslichen Gewalt beschuldigt, häppchenweise gelangen Textnachrichten an die mediale Öffentlichkeit: Der Fall ist gerichtsanhängig, der Fernsehmann beurlaubt.
So weit, so trister Gerichtsalltag. Allerdings bleibt der Manager aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anonym, ebenso der Arzt. Nur der Name des ORF-Promis wird genannt, sogar von Zeitungen, die sich gern mit dem Zusatz „Qualität“schmücken. Jetzt steht er am Pranger, die flächenbrandartige Empörungs- und Erregungseuphorie im Netz nimmt rasant Fahrt auf. Fama, die antike Fabelgestalt, speit aus Tausenden Mäulern unverbürgte Neuigkeiten, in Onlineforen und sozialen Medien wird anonym gehöhnt, gerichtet und gerechtet. Früher nannte man das Lynchjustiz.
Welcher als Freund verkleidete Teufel ihn auch immer geritten haben mag: Nun gibt auch der Anchorman seine Deckung auf und Statements ab. Ob er beim Leben seines Sohnes schwören würde, seine Ex nicht geschlagen zu haben, durfte da etwa die Kurierin einer Tageszeitung die Grenzen zwischen Journalismus und Beichtstuhl überschreiten. Halleluja, das jüngste Geri-, äh, Gerücht ist nah und täglich druckfrisch.
Ein echtes Vorbild für sensationslüsterne Enthüllungsjournalisten und Klatschmäuler lebte übrigens an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit: Pietro Aretino, der sich Kondottiere – also Söldnerführer – der Feder nannte, outete Michelangelos Homosexualität, denunzierte seine Mäzene in Venedig und seine Gönner in Rom. Gestorben ist der Sohn eines Schusters – angeblich – an einem obszönen Witz, vor Lachen soll er vom Sessel gekippt sein und sich das Genick gebrochen haben. Veritas odium parit, erklärte er zum Motto seiner Indiskretionen, Intrigen, Drohungen und Schmäh- und Schmeichelschriften – die Wahrheit brütet Hass aus.
Doch welche Wahrheit? Ganz abgesehen davon, dass Screenshots von jedem mittelbegabten Teenager in Nullkommanix gefälscht werden könnten – welches legitime Informationsbedürfnis wird denn mit Schlafzimmer-Schnüffeleien und Veröffentlichungen privater SMS und WhatsApp-Nachrichten gestillt? Ob diese aus dem Zusammenhang gerissen sind, wie der Moderator behauptet, und in welchem Kontext sie anders denn als gefährliche Drohung verstanden werden können: Diese verhängnisvolle Affäre aufzuklären, ist allein Sache der Gerichte.
Ja, vielleicht ist der TVMann ein arroganter Hundling. Das allein ist bekanntlich ein Schwerstverbrechen in Österreich. Man erinnere sich an den früheren Kunsthalle-Chef Gerald Matt. Als von den Anschuldigungen gegen ihn nichts mehr übrig blieb, warf man ihm vor, ein gelackter Dandy zu sein.
Dito Matthias Hartmann. Die Ermittlungsverfahren gegen den ExBurg-Chef wurden weitgehend eingestellt, also hielt man ihm vor, ein überheblicher, herrschsüchtiger Ungustl und Schreihals zu sein. Auch der früheren Belvedere-Chefin Agnes Husslein-Arco kreidete man, nachdem die Erhebungen wegen Verdachts auf Untreue gegen sie eingestellt wurden, ihre adelige Herkunft und ihr selbstbewusstes Auftreten an.
All diese Eigenschaften mögen unsympathisch sein, für manche Mitarbeiter schwer erträglich, aber strafbar sind sie nicht. Matt, Husslein und Hartmann sind ihre Jobs los, und man muss keine ausgeprägten seherischen Fähigkeiten haben, um zu prophezeien, dass auch die Karriere des TV-Moderators, noch ehe Schuld oder Unschuld erwiesen ist, ins Trudeln kommen wird. Denn ist der Ruf einmal ruiniert, lebt und moderiert es sich ganz sicher nicht mehr ungeniert.