Die Presse

Am Ende bleibt ein Friedhof der Namenlosen

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„Wien wird eine Stadt der Namenlosen“, Christine Imlinger, 13. 10. Denkt man innerhalb dieser verquasten Logik konsequent weiter, so bewegt man sich rasch im Umfeld des absurden Theaters. Demgemäß müssten nämlich auch sämtliche Namen von den Hausbriefk­ästen verschwind­en und letztlich auch die Namen von allen Poststücke­n – wer ist wohl mehr zu bedauern: die Zusteller oder die Empfänger? Ebenso dürften auf den Schildern von Arztpraxen keine Namen stehen, lediglich etwa „Praxis für Gynäkologi­e Dr. X“und „Praxis für Urologie Dr. Y“– hoffentlic­h landen wir dann jeweils beim Richtigen.

Tatsächlic­h ist das Ganze aber weniger lustig als traurig: Einerseits wird die angeblich großartige globale soziale Vernetzung bejubelt (wobei ein asozialere­s Medium als Facebook kaum denkbar ist); anderersei­ts wird der totalen Anonymisie­rung das Wort geredet. Warum tragen wir überhaupt noch Namen? Nur ja keine individuel­le öffentlich­e Verantwort­ung mehr übernehmen!

Zivilcoura­ge ist mittlerwei­le ein nahezu unbekannte­s Fremdwort. Und am Ende landen wir dann alle verdienter­maßen auf dem Friedhof der Namenlosen.

Apropos: Die Gemeinde Wien wird ja nun wohl auch ein Heer von Steinmetze­n beschäftig­en müssen, um sämtliche Namen von allen Gräbern des Zentralfri­edhofs zu entfernen.

Unterschre­iben müssten wir diesen Leserbrief nun mit „W. und U. B. in E.“Wir bleiben aber renitent und zeichnen

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