Wie Juden aus Vilnius ausgeblendet werden
Kolumne in einer Sache genau den Punkt: Die jahrelange reflexhafte Ablehnung der teilweise sehr berechtigten Kritik Jörg Haiders ist in der Tat ein Grund, ein Geständnis des Versagens abzulegen. Dieses Versagen fällt nun allen Österreichern zum Beispiel in der Gestalt von Parallelgesellschaften und der mittlerweile dritten schwarzblauen Regierung seit der Jahrtausendwende auf den Kopf.
Und diesen gesamthaft doch eher besorgniserregenden als erfreulichen Befund für Österreich könnte man im Prinzip genau so auch für Europa schreiben.
Ich selbst bin übrigens ein in der Mitte Zerrissener: Allein aus ökologischen Gründen habe ich seit den 1980er-Jahren zwar stets Grün gewählt. Und finde das nach wie vor richtig so.
Den gesellschaftspolitischen Idealismus der Grünen, der nach dem utopischen Motto „Totale Selbstverwirklichung muss für alle Erdenbürger möglich sein, und zwar hier und jetzt“ausgerichtet ist, empfinde ich aber zunehmend als vollkommen groteske Scheinheiligkeit (Bootsflüchtlinge bekommen ungefähr eine Million mal mehr Aufmerksamkeit als Verhungernde) und als ein für die ökologische Sache maximal kontraproduktives Übel.
„Gut gemeint“führt aus systemischen Gründen oft zum genauen Gegenteil von „gut gemacht“. Anno 2018 sollten alle Schüler, Studenten, Journalisten und Politiker Paul Watzlawicks Bücher gelesen und das begriffen haben. „Die lächelnden Engel tun ihr Werk“, von Nicole Quint, Reise 13./14. 10. Ein Reisebericht über Vilnius in der „Presse“vom 13./14. 10., als wäre es ein Propagandastück litauisch nationalistischer Geschichtsklitterung. Von früherer Fremdherrschaft ist die Rede, doch unerwähnt bleibt: Um 1920 waren nur etwa zwei Prozent der Stadtbevölkerung von Vilnius litauisch. Kein Wort von den Juden, die damals etwa 40 Prozent ausmachten.
Nichts über das jüdische Wilna, das „Jerusalem des Nordens“, in dessen verwinkelten Gässchen die Touristen heute gern flanieren. Keine Zeile vom Ghetto und vom Massenmord, an dem Österreicher maßgeblich beteiligt waren. All das wird ausgeblendet. Eine zweite Auslöschung.