Nostalgiker neigen zu Populismus
Studie. Bertelsmann Stiftung untersuchte Einfluss der Nostalgie auf Politik in Europa. Fazit: Wer häufig zurückblickt, ist eher für populistische Parolen anfällig – und Zigaretten-affin.
Bertelsmann Stiftung hat Einfluss der Nostalgie auf Politik in Europa untersucht.
„Take Back Control“, „Make America Great Again“– die Wahlslogans, die Donald Trump und die Befürworter des britischen EU-Austritts mit Erfolg verwendet hatten, spielten mit der Vorstellung von der guten alten – und verloren gegangenen – Zeit, die durch das richtige Votum zurückgeholt werden könne. Doch wie groß ist der Einfluss der Nostalgie auf politische Entscheidungen in Europa? Dieser Frage ist die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Dalia Research nachgegangen. Das Ergebnis der Nachforschungen wird am heutigen Montag veröffentlicht – „Die Presse“konnte die Studie vorab einsehen. Fazit: Wer gerne und mit Wehmut an die Vergangenheit denkt, ist für populistische Parolen anfällig.
Für ihre Studie befragten die Autoren knapp 11.000 EU-Bürger und untersuchten die Stimmungslage EU-weit sowie in den fünf größten kontinentalen Unionsmitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen (für Österreich wurden keine gesonderten Ergebnisse ermittelt). Zwei Drittel der Europäer sind demnach der Ansicht, dass die Welt früher ein besserer Ort gewesen sei. Den höchsten Anteil an Nostalgikern gibt es in Italien, wo 77 Prozent der Befragten der These zustimmten. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich Deutschland und Polen, wo sich nur 61 bzw. 59 Prozent der Befragten nach der Vergangenheit sehnten. Frankreich und Spanien lagen mit Zustimmungsraten von 65 bzw. 64 Prozent nahe am EU-Durchschnitt.
„Indiz für Verunsicherung“
Die detaillierten Ergebnisse der Umfrage legen nahe, dass die Haltung zur Vergangenheit viel über die politische Haltung der EUBürger verrät. Demnach verorten sich jene Europäer, die nostalgisch eingestellt sind, selbst häufiger rechts der politischen Mitte als die Nichtnostalgiker. Dieser Unterschied ist in Deutschland am stärksten ausgeprägt: Der Anteil der Nostalgiker, die sich rechts verorten, liegt bei 51 Prozent – und damit um 20 Prozentpunkte höher als bei den Nicht-Nostalgikern.
„Nostalgie ist auch ein Indiz für ein hohes Maß an Verunsicherung in der Gesellschaft“, so Isabell Hoffmann, Europaexpertin der Bertelsmann Stiftung und Mitautorin der Studie. Die sozioökonomischen Parameter sprechen diesbezüglich eine relativ klare Sprache. Wer sich nach der guten alten Zeit zurücksehnt, ist demnach tendenziell wirtschaftlich verunsichert oder arbeitslos, verfügt über keinen bzw. nur einfachen Schulabschluss und gehört zur Arbeiter- bzw. unterer Mittelklasse. Zudem gibt es bei den Nostalgikern einen Überhang an Männern.
Dass diese Gruppe Teil des Reservoirs ist, in dem rechtspopulistische Parteien nach Stimmen fischen, belegt auch die Haltung gegenüber Ausländern. 78 Prozent der europäischen Nostalgiker stimmen der Aus- sage zu, dass „Einwanderer sich nicht in die Gesellschaft integrieren möchten“. Bei Nichtnostalgikern liegt die Zustimmungsrate bei 63 Prozent.
Ähnliche Haltung zu Europa
Wenig ausgeprägt sind die Unterschiede indes bei der Haltung zu Europa: Die Mehrheit – 51 Prozent der Nostalgiker und 57 Prozent der Nichtnostalgiker – wünscht sich mehr politische und ökonomische Integration innerhalb der Europäischen Union, eine aktivere Rolle der EU auf der Weltbühne wird von beiden Gruppierungen ebenfalls klar befürwortet.
Kurioses Detail am Rande: Die Sehnsucht nach der Vergangenheit scheint mit einer gewissen Affinität zu Zigaretten einherzugehen. Unter den Nostalgikern ist der Anteil jener, die starke Raucher als Nachbarn akzeptieren würden, höher als bei den Nichtnostalgikern.