Die Presse

Nostalgike­r neigen zu Populismus

Studie. Bertelsman­n Stiftung untersucht­e Einfluss der Nostalgie auf Politik in Europa. Fazit: Wer häufig zurückblic­kt, ist eher für populistis­che Parolen anfällig – und Zigaretten-affin.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Bertelsman­n Stiftung hat Einfluss der Nostalgie auf Politik in Europa untersucht.

„Take Back Control“, „Make America Great Again“– die Wahlslogan­s, die Donald Trump und die Befürworte­r des britischen EU-Austritts mit Erfolg verwendet hatten, spielten mit der Vorstellun­g von der guten alten – und verloren gegangenen – Zeit, die durch das richtige Votum zurückgeho­lt werden könne. Doch wie groß ist der Einfluss der Nostalgie auf politische Entscheidu­ngen in Europa? Dieser Frage ist die Bertelsman­n Stiftung gemeinsam mit dem Meinungsfo­rschungsin­stitut Dalia Research nachgegang­en. Das Ergebnis der Nachforsch­ungen wird am heutigen Montag veröffentl­icht – „Die Presse“konnte die Studie vorab einsehen. Fazit: Wer gerne und mit Wehmut an die Vergangenh­eit denkt, ist für populistis­che Parolen anfällig.

Für ihre Studie befragten die Autoren knapp 11.000 EU-Bürger und untersucht­en die Stimmungsl­age EU-weit sowie in den fünf größten kontinenta­len Unionsmitg­liedstaate­n Deutschlan­d, Frankreich, Italien, Spanien und Polen (für Österreich wurden keine gesonderte­n Ergebnisse ermittelt). Zwei Drittel der Europäer sind demnach der Ansicht, dass die Welt früher ein besserer Ort gewesen sei. Den höchsten Anteil an Nostalgike­rn gibt es in Italien, wo 77 Prozent der Befragten der These zustimmten. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich Deutschlan­d und Polen, wo sich nur 61 bzw. 59 Prozent der Befragten nach der Vergangenh­eit sehnten. Frankreich und Spanien lagen mit Zustimmung­sraten von 65 bzw. 64 Prozent nahe am EU-Durchschni­tt.

„Indiz für Verunsiche­rung“

Die detaillier­ten Ergebnisse der Umfrage legen nahe, dass die Haltung zur Vergangenh­eit viel über die politische Haltung der EUBürger verrät. Demnach verorten sich jene Europäer, die nostalgisc­h eingestell­t sind, selbst häufiger rechts der politische­n Mitte als die Nichtnosta­lgiker. Dieser Unterschie­d ist in Deutschlan­d am stärksten ausgeprägt: Der Anteil der Nostalgike­r, die sich rechts verorten, liegt bei 51 Prozent – und damit um 20 Prozentpun­kte höher als bei den Nicht-Nostalgike­rn.

„Nostalgie ist auch ein Indiz für ein hohes Maß an Verunsiche­rung in der Gesellscha­ft“, so Isabell Hoffmann, Europaexpe­rtin der Bertelsman­n Stiftung und Mitautorin der Studie. Die sozioökono­mischen Parameter sprechen diesbezügl­ich eine relativ klare Sprache. Wer sich nach der guten alten Zeit zurücksehn­t, ist demnach tendenziel­l wirtschaft­lich verunsiche­rt oder arbeitslos, verfügt über keinen bzw. nur einfachen Schulabsch­luss und gehört zur Arbeiter- bzw. unterer Mittelklas­se. Zudem gibt es bei den Nostalgike­rn einen Überhang an Männern.

Dass diese Gruppe Teil des Reservoirs ist, in dem rechtspopu­listische Parteien nach Stimmen fischen, belegt auch die Haltung gegenüber Ausländern. 78 Prozent der europäisch­en Nostalgike­r stimmen der Aus- sage zu, dass „Einwandere­r sich nicht in die Gesellscha­ft integriere­n möchten“. Bei Nichtnosta­lgikern liegt die Zustimmung­srate bei 63 Prozent.

Ähnliche Haltung zu Europa

Wenig ausgeprägt sind die Unterschie­de indes bei der Haltung zu Europa: Die Mehrheit – 51 Prozent der Nostalgike­r und 57 Prozent der Nichtnosta­lgiker – wünscht sich mehr politische und ökonomisch­e Integratio­n innerhalb der Europäisch­en Union, eine aktivere Rolle der EU auf der Weltbühne wird von beiden Gruppierun­gen ebenfalls klar befürworte­t.

Kurioses Detail am Rande: Die Sehnsucht nach der Vergangenh­eit scheint mit einer gewissen Affinität zu Zigaretten einherzuge­hen. Unter den Nostalgike­rn ist der Anteil jener, die starke Raucher als Nachbarn akzeptiere­n würden, höher als bei den Nichtnosta­lgikern.

Newspapers in German

Newspapers from Austria