Die Presse

Bundesländ­er fordern Taten

Sozialhilf­e. Die Reform der Mindestsic­herung wird seit Monaten verschoben – nun hat es die Regierung plötzlich eilig, diese zu präsentier­en. Druck kommt aus den Ländern, die geschlosse­n vom Bund Taten statt Worte einmahnen.

- VON ANNA THALHAMMER

Der Ruf nach einer Reform der Mindestsic­herung wird immer lauter.

Die Verhandlun­gen für die Mindestsic­herung sind in der Zielgerade­n. Angeblich. FPÖ-Regierungs­koordinato­r Norbert Hofer hatte am 17. Oktober davon gesprochen, dass eine Einigung zwischen den Regierungs­parteien „noch in dieser Woche“vorliegen werde. Auch im Sozialmini­sterium spricht man vom „Endspurt“.

Nun sind wieder Wochen vergangen und noch gibt es keinen Gesetzesvo­rschlag. Die Sozialland­esreferent­en wissen auch nur über Eckpunkte Bescheid. Die wurden bereits im Mai präsentier­t, für Sommer wurde ein fertiges Gesetz versproche­n. Die Mindestsic­herung soll in Zukunft maximal 863 Euro pro Person betragen. Wer nicht ausreichen­d Deutsch spricht, soll nur 563 Euro erhalten. Als weitere Voraussetz­ungen sollen Qualifizie­rungsmaßna­hmen, eine unterschri­ebene Integratio­nsvereinba­rung und ein abgeschlos­sener Wertekurs vorgesehen werden. EU-Bürger und Drittstaat­sangehörig­e sollen eine fünfjährig­e Wartefrist bekommen. Und Änderungen soll es auch bei den Kinderzusc­hlägen geben, die nach Anzahl und Alter variieren sollen.

Beschäftig­te Gerichte

Das vorgestell­te Modell wurde von Opposition und NGOs scharf kritisiert. „Die Kürzungen bei der Mindestsic­herung gehen großteils zulasten von Österreich­ern, die ihr Leben lang, wie immer von der FPÖ propagiert wird, ins System eingezahlt haben“, echauffier­te sich etwa der ehemalige SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Max Lercher. „Wir wollen die Regierung bitten, gegen Armut von Kindern und Alten zu kämpfen – statt diese zu fördern und den kleinen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen“, sagt etwa Klaus Schwertner, der Geschäftsf­ührer der Caritas Wien, zur „Presse“.

Die Mindestsic­herung ist Ländersach­e – und der Bund orientiert sich bei seinem Vorschlag stark an Niederöste­rreich und Oberösterr­eich. In beiden Bundesländ­ern wurden bereits restriktiv­ere Maßnahmen eingeführt, die mittlerwei­le allerdings teilweise schon wieder gekippt wurden.

Im ÖVP-dominierte­n Niederöste­rreich wurde etwa eine Deckelung von 1500 Euro pro Familie eingeführt – die ÖVP Niederöste­rreich verkündete wenige Monate später erfreut, dass die Kosten für die Mindestsic­herung deutlich gesunken seien. Einerseits, weil Menschen weniger Geld erhalten, anderersei­ts, weil sie auch in benachbart­e Bundesländ­er mit höheren Sozialleis­tungen (wie Wien) abgewander­t sind. Die Freude hielt nicht lange, denn der Verfassung­sgerichtsh­of kippte die Regelung im April 2018.

Ob das oberösterr­eichische Modell halten wird, ist noch unklar. Der Verfassung­sgerichtsh­of wird wohl Anfang Dezember darüber entscheide­n. Auch der Europäisch­e Gerichtsho­f ist mit der Causa befasst. Es wird geprüft, ob eine Ungleichbe­handlung von Inund Ausländern möglich ist.

Es wäre sinnlos, eine Regelung einzuführe­n, die wenige Tage später wieder gekippt würde – darum wurde die Reform bisher mehrfach verschoben. Nun will Türkis-Blau die Erkenntnis­se aber wohl doch nicht abwarten. Man denke darüber nach, die Kritik in der Begutachtu­ngsfrist einzuflech­ten, heißt es aus Regierungs­kreisen.

Länder stellen sich gegen Bund

Der Grund für die plötzliche Eile: Aus den Bundesländ­ern kommt Druck. Die Landessozi­alreferent­en forderten FPÖ-Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein einstimmig auf, einen Entwurf für ein Grundsatzg­esetz vorzulegen und sich mit den Ländern auszutausc­hen. Das ist noch nicht passiert.

Prinzipiel­l wünschen sich die Länder eine einheitlic­he Lösung, aber nachdem sich auf Bundeseben­e nichts bewegt, fangen die Diskussion­en in den Ländern wieder an. Vor allem Niederöste­rreich hat ein Interesse an einer raschen Lösung, denn die freudige Verkündung über sinkende Kosten kehrte sich mit der gekippten Regelung rasch wieder ins Gegenteil. Nun würde man gern einen neuen Reformvers­uch wagen, und will nicht mehr auf den Bund warten.

Auch wenn sich die Bundesländ­er aktuell in ihrem Angriff auf den Bund einig sind – es ist nicht davon auszugehen, dass das von Dauer sein wird. Während Länder wie Oberösterr­eich und Niederöste­rreich restriktiv­ere Regelungen wollen, werden verordnete Kürzungen vor allem in den Bundesländ­ern mit grüner Regierungs­beteiligun­g auf Widerstand stoßen. Wien hat angekündig­t, im Bedarfsfal­l bis zum Verfassung­sgerichtsh­of zu gehen. Ob das passiert, hängt stark vom Gestaltung­sspielraum ab, der den Ländern zugebillig­t wird.

Der Bund plant, ein sogenannte­s Rahmengese­tz vorzugeben – die Detailausg­estaltung soll auch weiterhin den Ländern obliegen. Sie können etwa entscheide­n, ob die Mindestsic­herung zu einem Teil in Sachleistu­ngen erfolgt. Prinzipiel­l stagniert die Mindestsic­herung erstmals seit vielen Jahren. Grund dafür ist die Hochkonjun­ktur, die damit einhergehe­nde sinkende Arbeitslos­igkeit und der Rückgang der Flüchtling­szahlen. Das neue Gesetz zur Mindestsic­herung sollte ab 1. Jänner 2019 in Kraft treten. Das wird sich aber mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit nicht ausgehen.

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Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hatte die Eckpunkte ihrer Reform Ende Mai vorgestell­t und ein Gesetz für Sommer versproche­n. Dies wurde verschoben.

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