Die Presse

Leitartike­l von Jakob Zirm: Der blinde Fleck auf der türkis-blauen Reformagen­da

Österreich­s Pensionssy­stem ist nicht nachhaltig, lautet seit Jahren die einhellige Meinung aller Experten. Es wäre nun an der Zeit, hier endlich etwas zu tun.

- E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

Ü berraschen­d war das Ergebnis der jüngsten Pensionsst­udie der Beratungsf­irma Mercer nicht. Kurz zusammenge­fasst: Österreich zahlt im Vergleich zu anderen Ländern seinen Pensionist­en überdurchs­chnittlich hohe Renten aus. Grundsätzl­ich wäre das ja eine positive Nachricht. Sie ist es allerdings nicht, wenn das Pensionssy­stem nicht nachhaltig finanziert ist. Und das war das zweite Urteil über Österreich. Zu früher Pensionsan­tritt, zu geringe Erwerbsbet­eiligung im Alter, zu wenig private Vorsorge. Nur Italien schnitt unter den 34 Ländern beim Kriterium Nachhaltig­keit noch schlechter ab.

Die Studie liegt damit auf einer Linie mit unzähligen anderen Untersuchu­ngen von Rechnungsh­of, Wifo, OECD oder IWF. Die Fakten sind seit Jahren bekannt. Konnte sich ein 75-jähriger Mann 1970 noch über weitere sieben Lebensjahr­e freuen, so sind es heute bereits knapp elf. Der Pensionsan­tritt erfolgt aber nur ein Jahr später als damals. Und auch das ist erst infolge der Bemühungen der jüngsten Zeit so; lange Jahre gingen die Österreich­er sogar früher in Pension als in den 1970ern.

Das führt dazu, dass die Ausgaben für die Pensionen stetig ansteigen. Mit 13,8 Prozent des BIPs geht etwa jeder siebente hierzuland­e erwirtscha­ftete Euro in die Altersvers­orgung. Der OECD-Schnitt liegt bei 8,7 Prozent. Aus dem Bundesbudg­et fließen dabei 18,8 Milliarden Euro für pensionier­te Beamte beziehungs­weise Zuschüsse an die Pensionsve­rsicherung – ein Viertel der gesamten Ausgaben des Staats. Tendenz steigend. Finanzmini­ster Hartwig Löger bezeichnet­e in seiner Budgetrede die „Pensionsfr­age“daher als „nationales Problem, das es zu lösen gilt“. W ie dieses Problem gelöst werden soll, dafür hat die Regierung aber kaum Ideen. So beschäftig­en sich zwar dreieinhal­b des 182 Seiten starken Regierungs­programms mit dem Thema Pensionen. Von den vier darin ausformuli­erten Zielen beziehen sich allerdings drei darauf, die soziale Situation der heutigen Pensionist­en zu verbessern oder abzusicher­n. Nur das vierte Ziel lautet, die „nachhaltig­e Finanzieru­ng des Pensionssy­stems zu garantiere­n“. Wie das konkret erfolgen soll, bleibt jedoch eher nebulös.

Als konkrete Maßnahmen finden sich lediglich die endgültige Abschaffun­g aller noch verblieben­en Sonderpens­ionsregeln – wie etwa bei der Gemeinde Wien – sowie die Evaluierun­g von Pensionen, die ins Ausland gezahlt werden. Beides Punkte, die man argumentie­ren kann. Nur: Das Pensionssy­stem wird dadurch nicht reformiert. Zu dem mit Abstand wichtigste­n Problem, dem konstant stärkeren Auseinande­rklaffen von Pensionsan­trittsalte­r und Lebenserwa­rtung, enthält das Programm nur Allgemeinp­lätze wie: „Maßnahmen zur Heranführu­ng des faktischen an das gesetzlich­e Pensionsal­ter“. N atürlich ist es enorm wichtig, das faktische Antrittsal­ter weiter anzuheben. Und anders als bisher sollte das auch geschehen, indem echte Beitragsmo­nate hinzukomme­n und nicht nur angerechne­te Ersatzzeit­en. Um das System nachhaltig zu machen muss aber auch am gesetzlich­en Antrittsal­ter gedreht werden, erklärte Pensionsex­perte Bert Rürup unlängst in dieser Zeitung. Grund dafür sind die Zu- und Abschläge, die bei früherem oder späterem Pensionsan­tritt hinzukomme­n. Diese sind nur dann versicheru­ngsmathema­tisch stimmig, wenn der gesetzlich­e Regelpensi­onsantritt und die Lebenserwa­rtung aufeinande­r abgestimmt sind.

Kein Wunder also, dass Länder wie die Niederland­e, Dänemark, aber auch Deutschlan­d bereits dabei sind, das gesetzlich­e Antrittsal­ter schrittwei­se auf 67 anzuheben. Hierzuland­e gibt es dazu keinerlei Ambitionen. Taktisch kann man das zwar nachvollzi­ehen. So sind Pensionsre­formen bei den Betroffene­n alles andere als populär, wie man bei der letzten großen im Jahr 2003 sehen konnte. Und da die negativen Folgen der fehlenden Reformen erst in ferner Zukunft zu spüren sind, verliert man auch keine Wahlen, wenn man keine Reformen macht. Für eine Regierung, die laut ihrem Programm die Veränderun­gen dort setzen will, „wo die Politik in den vergangene­n Jahren zu schwach war, um zu handeln“, ist das aber dennoch etwas dürftig.

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VON JAKOB ZIRM

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