Platzhirsch zu sein ist nicht mehr genug
Studie. Die Wahrscheinlichkeit, dass Branchenführer noch in fünf Jahren unter den Größten sind, ist gesunken. Das macht auch die Aktienauswahl schwieriger. Eine BCG-Studie versucht, Vitalität und Wachstumsfähigkeit von Firmen zu messen.
Dass Größe und hohe Gewinne kein Garant für Erfolg in der Zukunft sind, hat das Beispiel von General Electric gezeigt. Der Aktienkurs des im Sommer aus dem Dow Jones geflogenen Unternehmens ist kürzlich auf ein Zehnjahrestief gefallen; nach einem milliardenschweren Verlust im dritten Quartal musste der einstige Industriegigant auch noch die Dividende kürzen.
Platzhirsch zu sein ist längst kein Ticket mehr in eine positive Zukunft. Mitte des vo- rigen Jahrhunderts war es das noch: 77 Prozent der Branchenmarktführer fanden sich auch noch fünf Jahre später unter den Top fünf. Dieser Anteil ist auf 44 Prozent gefallen. Das zeigt eine BCG-Studie („The Global Landscape of Corporate Vitality“).
Manager müssten wissen, dass der Blick in die Vergangenheit kaum noch etwas über Umsatz oder Profitabilität in der Zukunft aussage, stellt Martin Reeves, Senior Partner bei BCG und Leiter des Bruce-HendersonInstituts, fest. Der Aktienmarkt reflektiere zu einem gewissen Grad zukünftiges Wachs- tum bereits, weshalb stark wachsende Technologiefirmen wie Amazon gemessen an ihrem Gewinn oder Umsatz sehr teuer sind. „Wir haben aber versucht, diese Vorhersehbarkeit zu verbessern, indem wir eine Menge nicht finanzieller Faktoren analysiert haben.“Die BCG hat sich die 1000 weltweit größten Unternehmen nach anderen Kriterien angesehen: Sie hat Marktanalysen durchgeführt, um das Wachstumspotenzial eines Unternehmens zu ermitteln, und schätzt aufgrund von Daten zu Strategie, Technologie, Investitionen und Mitarbeitern die tatsächliche Fähigkeit eines Unternehmens ein, dieses Wachstum auch zu liefern. Daraus wurde ein Ranking mit den 50 zukunftsträchtigsten Unternehmen erstellt („Fortune Future 50“).
Unter diesen sind auch Giganten wie Amazon (Platz 29) oder Alphabet (32), sie liegen aber nicht ganz vorn. Auf Platz eins landet Workday, ein US-onDemand-Softwareanbieter für Finanzmanagement mit einem Jahresumsatz von 2,4 Mrd. Dollar. Das zweitplatzierte Unternehmen, das soziale Netzwerk Weibo aus China, ist mit einem Umsatz von 1,5 Mrd. Dollar noch kleiner – und die Aktie auch entsprechend schwankungsanfälliger: Auf Fünfjahressicht liegt sie zwar deutlich im Plus; in den vergangenen Monaten hat ihr aber der Handelskonflikt zwischen China und den USA zugesetzt. Es folgen im BCG-Ranking die US-Cloud-Computing-Firma Service Now, der chinesische Reiseanbieter Ctrip und das auf Online-Rabattverkäufe spezialisierte Unternehmen Vipshop, ebenfalls aus China. Die chinesischen Internetriesen Alibaba und Tencent belegen die Plätze 14 und 16.
Europäische Unternehmen finden sich kaum unter den vitalsten, eines von wenigen ist der multinationale Software-Entwicklungskonzern Dassault Syst`emes mit Sitz im französischen Velizy-´Villacoublay.
42 Prozent der überlebensfähigsten Firmen kommen aus den USA; weitere 42 Prozent aus China. Hat Europa den Anschluss verloren? Reeves relativiert: Unter den Top-200-Unternehmen sei der Europa-Anteil größer als unter den Top 50. Die geringe Präsenz europäischer Unternehmen unter den vitalsten Firmen erkläre sich auch mit der geringeren Gewichtung des Technologiesektors, dem schwächeren Wirtschaftswachstum, der ungünstigeren demografischen Lage und dem geringeren Vorhandensein von Risikokapital.
Freilich: Wer bei seiner Geldanlage nur zu Aktien „vitaler“Firmen greift, erreicht rasch eine sehr hohe Technologielastigkeit. Unter den vitalsten Firmen aus entwickelten Ländern stellen die IT–Firmen eine absolute Mehrheit dar; auch in den Schwellenländern ist ihr Anteil der relativ höchste.