Die Presse

Die schmerzhaf­te Rollerrevo­lution

Verkehr. Start-up-Investoren lieben Elektrosco­oter. Aber nicht überall läuft es so rund wie bisher in Wien. Werden uns die E-Roller zum Ausleihen erhalten bleiben – oder wieder verschwind­en?

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QR-Code scannen, aufsteigen, losfahren. Das Prinzip der Start-ups Lime und Bird, die gerade die halbe Welt mit E-Rollern überziehen, ist denkbar einfach. Auch in Wien sind die zwei US-Unternehme­n schon gelandet. Diesmal wird die Bundeshaup­tstadt ihrem Ruf als Spätentwic­klerin, in der die Welt erst zehn Jahre nach Weltunterg­ang untergeht, gar nicht gerecht. Mehr als 3000 Scooter sind bereits unterwegs oder stehen irgendwo am Gehsteig rum. Wien war aber schon immer ein Ausnahmefa­ll in Sachen Roller. Nirgendwo sonst ist es gesellscha­ftlich derart akzeptiert, wenn erwachsene Menschen mit Tretroller­n unterwegs sind.

Der Schritt zu strombetri­ebenen Geräten scheint da nur logisch. Probleme gibt es bisher kaum. Die Stadt verzeichne­t „maximal eine Beschwerde pro Tag, eher weniger“, wie Christian Rupp von der zuständige­n Mobilitäts-

In den USA, wo dieser Trend wie viele vor ihm seinen Ausgang genommen hat, gab es bereits mehrere Todesfälle – wobei nicht bekannt ist, ob diese mit geliehenen oder selbst gekauften Scootern geschehen sind. Die Probleme sind in beiden Fällen dieselben, was man auch in Wiens Straßen beobachten kann. Niemand trägt beim Rollerfahr­en Helme. Dabei kommen die Dinger auf eine Höchstgesc­hwindigkei­t von fast 25 Kilometern pro Stunde.

Es ist auch kein Zufall, dass Lime und Bird in Los Angeles gegründet wurden. Die Strandprom­enade zwischen Venice Beach und Santa Monica gilt als Epizen- trum des Trends. Wally Ghurabi, Notfallmed­iziner in Santa Monica, berichtet laut „Bloomberg“von „gebrochene­n Knochen, Gesichtskn­ochen, Schädeln und internen Blutungen“. Zeitweise wurden die Scooter verboten. Lime hat inzwischen reagiert und will sicherere Scooter einführen – sowie 250.000 Helme gratis verteilen. Ob die auch bis Wien kommen, ist unklar.

Man sucht auch nach neuen Technologi­en, die etwa faltbare Helme ermögliche­n, um das Thema Helmtransp­ort zu vereinfach­en. Anders als etwa bei Uber, das weltweit gegen Taxigewerk- schaften und Betreiber zu kämpfen hat, wird die Zukunft der neuen E-Roller-Industrie wohl vom Thema Verletzung­en geprägt sein. Zumindest am Anfang, bis das neue Fortbewegu­ngsmittel so etabliert ist wie die bekannten. Ärzten zufolge herrscht auf Scootern oft sogar höhere Verletzung­sgefahr als beim Radfahren, weil man körperlich nicht so sehr in die Bewegung eingebunde­n ist, sondern nur entspannt dahingleit­et – bis man auf ein Hindernis trifft.

Am 19. Oktober haben neun Betroffene von Scooterver­letzungen in Los Angeles eine Sammel- klage gegen Bird und Lime eingebrach­t – und gegen die Hersteller der Roller: Xiaomi und Segway. Diese Elektronik­riesen (nur Xiaomi ist bisher auch an der Börse) glauben genauso an die elektrifiz­ierte Rollerzuku­nft wie die Investoren von Andreessen Horowitz, Sequoia Capital und Google Ventures, die Lime und Bird mit Geld überhäufen. Die Firmen sind keine zwei Jahre alt und werden bereits um die drei Milliarden Dollar bewertet. Sie befinden sich auch in einem gnadenlose­n Wettlauf.

In mehr als 100 Städten sind sie bisher vertreten. Wien ist ein Musterbeis­piel, da bereits für die inzwischen wieder verschwund­enen chinesisch­en Leihräder Regeln entwickelt wurden – und Roller nicht so viel Platz wegnehmen, wenn sie am Gehsteig rumstehen. In anderen Ländern, auch in den USA, sind oft die Scooterfir­men die Kläger, weil sie keine Berechtigu­ng erhalten und Angst haben, ins Hintertref­fen zu geraten – etwa im Tech-Mekka San Francisco, wo die Stadt sich bisher querlegt.

Noch sind sich die Investoren uneinig, ob Elektrosco­oter wirklich „the next big thing“sind – oder nur ein Fiebertrau­m. Uber, das selbst inzwischen mit fast 80 Mrd. bewertet wird, hat bereits Geld in Lime gesteckt. Mit dieser Bewertung dürfte Uber sich auch im kommenden Jahr an die Börse wagen – zumindest sagt das die Gerüchtekü­che. Dann können auch Kleinanleg­er am Trend mitnaschen, denn Uber bastelt inzwischen auch an einem eigenen E-ScooterAng­ebot. Man will die Straße nicht anderen Start-ups überlassen.

Um die geht es – zumindest in Wien. Die E-Roller dürfen nämlich nicht auf dem Gehsteig gefahren werden. Sie sind rechtlich dem Fahrrad gleichgest­ellt. „Wenn vorhanden, sind Radwege zu benutzen – ansonsten die Fahrbahn“, erklärt Christian Rupp von der Mobilitäts­agentur. Die MA 28 hat jeden einzelnen der in Wien vermietete­n Scooter geprüft. Auch, ob sie die notwendige­n Lichter haben.

Einzig: Auf der Straße, zwischen den großen Autos, fühlt man sich als Rollerfahr­er doch sehr klein. Radfahrer sind wenigstens auf Augenhöhe mit den SUV-Fahrern – Rollerfahr­er nicht. Da beruhigt es, dass die Geräte zumindest in der Nacht zum Aufladen von der Straße müssen.

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