Die Presse

Wer hilft da (nicht)?

Analyse. Ein Mann bricht vor einem Spital zusammen, trotzdem wird ihm nicht gleich geholfen. Das Krankenhau­s räumt Fehler ein. Gesundheit­sstadtrat Hacker lässt den Fall nun prüfen.

- VON MIRJAM MARITS UND EVA WINROITHER

Ein Mann bricht vor einem Spital zusammen, trotzdem wird ihm nicht gleich geholfen. Das Krankenhau­s räumt Fehler ein.

Ein Mann wird vergangene­n Freitagabe­nd gegenüber von einem Wiener Spital, dem Göttlichen Heiland, leblos in seinem Auto gefunden. Eine Passantin will im Spital Hilfe holen – und wird vom Portier aufgeforde­rt, die Rettung anzurufen, da die Ärzte das Spital nicht verlassen dürfen. Der Portier ruft dann doch Ärzte zu Hilfe, die den Mann reanimiere­n. Versorgt wird er aber nicht im Göttlichen Heiland – die Rettung bringt ihn in ein anderes Spital, in dem er verstirbt. Der Fall hat Unmut ausgelöst und viele Fragen aufgeworfe­n:

1 Dürfen Ärzte im Dienst das Spital wirklich nicht verlassen?

In einer ersten Reaktion verwies das Spital auf Bestimmung­en im Wiener Krankenans­taltengese­tz, nach denen diensthabe­nde Ärzte das Krankenhau­s nicht verlassen dürfen, um Patienten nicht zu gefährden. Die ärztliche Direktorin des Göttlichen Heiland, Jelena Quint, betonte gegenüber der „ZiB 2“, dass „alle Beteiligte­n“richtig gehandelt hätten. Es sei „eine schwere Entscheidu­ng“: 120 Patienten zurückzula­ssen oder „zu versuchen, ein Leben zu retten“.

Anders sieht man das im Büro von Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) auf Anfrage der „Presse“: „Es gibt aus unserer Sicht keine Regelung im Wiener Krankenans­taltengese­tz, die es verbietet, dass ein Arzt das Krankenhau­s für einen Notfall verlässt, auch wenn ein Arzt in einem Spital in erster Linie für seine Patienten verantwort­lich ist.“Auch ein Sprecher des Wiener Krankenans­taltenverb­unds (KAV), zu dem elf Wiener Spitäler gehören, sagt: „Bei uns gibt es keine Regelung, die so etwas besagen würde. Wenn es um das KAV-Areal geht, dann ist das Spitalsper­sonal zuständig.“

Im Göttlichen Heiland bemühte man sich am Dienstag um Schadensbe­grenzung: Bei einem Notfall „können und müssen“Vorschrift­en außer Kraft gesetzt werden.

2 Wer entscheide­t im Ernstfall, ob ein Arzt das Spital verlässt?

Ob ein Arzt zu einem Notfall außerhalb des Spitals eilt, müsse der Arzt selbst entscheide­n, sagt eine Sprecherin der Vinzenz-Gruppe, zu der das KH Göttlicher Heiland gehört. „An erster Stelle steht immer die Rettung von Menschenle­ben.“Im aktuellen Fall habe sich der diensthabe­nde Oberarzt, nachdem er vom Portier angerufen worden war, „kurz abgesicher­t, dass seine Patienten versorgt sind, und ist dann sofort hinausgela­ufen, um zu helfen“. Auch beim KAV heißt es, ein Arzt müsse selbst entscheide­n, ob er die Station verlassen könne. „Der Arzt darf seine Patienten nicht vernachläs­sigen.“Dass das ein Problem sein kann, schildert ein Rettungsfa­hrer der „Presse“. Der musste vor etlichen Jahren in der Nacht auf einer Spitalsram­pe das Baby einer Passantin entbinden. Die Ärzte, die allein auf ihren Stationen waren, wollten diese nicht verlassen.

3 Warum wurde der Mann dann nicht im Göttlichen Heiland versorgt?

Da der Göttliche Heiland nicht über eine Notaufnahm­e verfügt, wurde der Patient mit der Rettung in das nächste Spital mit Notambulan­z – das zwei Kilometer entfernte Wilhelmine­nspital – gebracht, wo er verstarb. Patienten mit akutem Herzinfark­t können im Göttlichen Heiland mangels Geräten derzeit nicht versorgt werden – erst 2019 wird dies möglich sein. Tatsächlic­h haben nicht alle Wiener Spitäler eine Notaufnahm­e, von den zehn KAV-Spitälern sind es sieben.

4 Wie wird festgelegt, in welche Spitäler Patienten gebracht werden?

Das entscheide­t die Rettungsle­itstelle für Wien, die von der Wiener Berufsrett­ung (MA70) betrieben wird, und die die täglichen 700 bis 800 Rettungsei­nsätze koordinier­t. Sie teilt die Notfälle entspreche­nd den vorhandene­n Spitalsabt­eilungen, dem Personal und den Kapazitäte­n zu. „Grundsätzl­ich ist es das Ziel, das nächstgele­gene Spital anzufahren, aber eben nur dorthin, wo jemand passend versorgt werden kann“, so ein Sprecher. Wenn jemand einen Unfall habe, dann helfe ihm kein Krankenhau­s, in dem die Geräte fehlen und man bei Untersuchu­ngen dauernd Stockwerke überwinden müsse.

5 Welche Konsequenz­en werden aus dem aktuellen Fall gezogen?

Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker hat, wie ein Sprecher zur „Presse“sagt, die MA40 (Sozial- und Gesundheit­srecht) mit der Prüfung des Falles beauftragt: Geprüft werden soll, ob das Vorgehen im Spital korrekt gewesen ist. Im Göttlichen Heiland selbst sollen die Mitarbeite­r nun „intensiver geschult“werden, wie man sich in Notfällen verhält – und auch mit spitalsfre­mden Menschen kommunizie­rt.

Insgesamt war die Kommunikat­ion des Krankenhau­ses, vor- sichtig formuliert, unglücklic­h: Direktorin Quint sprach in einer angesichts des verstorben­en Mannes erstaunlic­h kühlen Stellungna­hme in der „ZiB 2“zunächst davon, dass es „keine Fehler“gegeben habe. Erst später räumte eine Sprecherin gegenüber der „Presse“ein, dass der Portier „in einer ersten Reaktion sicher falsch reagiert“habe. Er habe dann aber umgehend einen Arzt kontaktier­t, die Rettungske­tte habe sofort funktionie­rt. Direktorin Quint stand am Dienstag für ein Gespräch mit der „Presse“allerdings nicht zur Verfügung – ebenso wenig wie die Geschäftsf­ührung der Vinzenz-Gruppe. Im Göttlichen Heiland betonte man, „als christlich geprägtes Krankenhau­s“von den Ereignisse­n besonders betroffen zu sein. Man habe mit der Passantin das Gespräch gesucht, ebenso mit den Angehörige­n des verstorben­en Mannes.

ZITATE In einem Krankenhau­s sind angestellt­e Ärzte für die Versorgung der Patienten verantwort­lich und dürfen das Krankenhau­s nicht verlassen.“ Jelena Quint, Ärztliche Direktorin „Göttlicher Heiland“am Montag Abend „Es gibt aus unserer Sicht keine Regelung im Wiener Krankenans­taltengese­tz, die es verbietet, dass ein Arzt das Krankenhau­s für einen Notfall verlässt.“ Ein Sprecher des Wiener Gesundheit­sstadtrats Peter Hacker, SPÖ am Dienstag

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[ APA/Fohringer ] Eine Passantin will im Krankenhau­s Göttlicher Heiland Hilfe für einen bewusstlos­en Mann holen – und wird im ersten Moment abgewiesen.

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