„Ob-La-Di, Ob-La-Da“
Pop. Vor 50 Jahren ist das Doppelalbum „The Beatles“erschienen. Es war dezidiert nicht revolutionär, sondern das erste große Manifest der Postmoderne im Pop. Genau damit nahm es viele Stilrichtungen der nächsten Jahrzehnte voraus.
Vor 50 Jahren ist das Weiße Album erschienen. Es war nicht revolutionär, es war das erste große Manifest der Postmoderne im Pop.
Weiße Jahre: Im Februar 1967 besangen Jefferson Airplane im Geiste der Alice im Wunderland den „White Rabbit“; im Mai 1967 malten Procol Harum „A Whiter Shade of Pale“; im September 1967 veröffentlichten Velvet Underground ihr schroffes zweites Album „White Light/White Heat“; im Juli 1968 richteten Cream ihren „White Room“(allerdings mit schwarzen Vorhängen) ein.
Und dann die Beatles. Am 22. November 1968 erschien das Doppelalbum, von dem alle Welt sofort als „The White Album“sprach, obwohl es niemand so benannt hatte. Es hieß schlicht „The Beatles“, dieser Schriftzug war weiß auf die weiße Hülle gedruckt, sonst nur eine Zahl, die Exemplare waren durchnummeriert. Als Beigaben: ein Poster mit einer Bildcollage auf der einen und den Songtexten auf der anderen Seite. Dazu vier A4-Einzelfotos der vier Beatles, die den Betrachter tief und ernst anblicken: Ikonen mit Mittelscheitel, eine mit Brille.
Fürs Design verantwortlich war Richard Hamilton, der 1956 mit der Ausstellung „This Is Tomorrow“die Pop-Art vorweggenommen hatte. (2001 gestaltete er den Vorhang der Wiener Staatsoper: mit einer unscharfen Schwarz-Weiß-Fotografie.) Wie die Beatles selbst war er vor der Frage gestanden: Was kann auf „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“folgen? Auf dieses Album, vor dem, wie ein zeitgenössischer Kritiker in edler Hyperbel schrieb, die westliche Zivilisation zur Einheit gefunden habe wie zuletzt beim Wiener Kongress? Auf Peter Blakes buntbuntes Cover, auf dem sich alle Welt um die Beatles versammelt, von Marx bis Einstein, von Marlene Dietrich bis Karlheinz Stockhausen?
Das erste Rock’n’Roll-Revival
Was konnte da noch kommen? Richtig: Weiß. Reines Weiß. Zurück zum Einfachen. Und auch zum Ursprünglichen. Im RetroJahr 1968. Richtig gelesen: Das Revolutionsjahr 1968 war für die Popmusik das erste Jahr, in dem sie rückwärts blickte: zurück auf den alten Rock ’n’ Roll. Im Winter nach dem „Summer of Love“des Jahres 1967 keimte das erste Rock’n’Roll-Revival, am unverschämtesten zelebriert von den Beatles, die mit „Lady Madonna“schon im März einen Song veröffentlichten, den Fats Domino einfach nachspielen musste, weil er exakt klang, als ob er von ihm wäre.
Doch Retro war 1968 breiter: Die Rolling Stones, ernüchtert von den Räuschen ihres Albums „Their Satanic Majesties Request“, rekurrierten auf den Blues; die Byrds entdeckten ihre Wurzeln im Country („Sweetheart of the Rodeo“); Bob Dylan fand zurück zum Folk, ins alte Amerika und zum Alten Testament; die Kinks beamten sich ganz britisch zurück in die Music Halls ihrer Groß- väter (und ins Village Green, als deren „Preservation Society“sie posierten).
Und was taten die Beatles? All das und noch mehr. Aber alles retro – zum Leidwesen der Fortschrittsgläubigen etwa in der deutschen Musikzeitschrift „Sounds“, die das Weiße Album als „bloße Reprise ihrer vergangenen Werke“verstand, als „eine Art Retrospektive auf acht Jahre Beatles“. Das war nicht ganz falsch, in „Glass Onion“sah Lennon sogar auf eigene Songtexte zurück. Doch – im Rückblick! – interpretierte man das schon in den Siebzigerjahren ganz anders: als Vorwegnahme aller möglichen Stile, in die sich die Popmusik diversifiziert hatte. Man kann es heute noch so hören, nur zwei Beispiele: Hat Siouxsie Sioux, als sie 1983 „Dear Prudence“nachspielte, nicht sich selbst darin entdeckt? War im „Yer Blues“nicht schon alle depressive Schwere da, die 25 Jahre später den Grunge ausmachte?
Darauf hätten Maoisten hören sollen
Gut, aber da war doch noch die Revolution. Haben die Beatles ihr nicht eine Hymne geschrieben? Nein. Kein Songwriter hat so gezaudert wie Lennon, als er an „Revolution“arbeitete. „When you talk about destruction, don’t you know that you can count me out“, sang er zuerst, später ergänzte er das „out“durch ein nachgeschobenes „in“, strich es wieder, fügte es wieder hinzu. Die Zeile „If you go carrying pictures of chairman Mao, you ain’t gonna make it with anyone anyhow“wurde von Maoisten naturgemäß kritisiert, manche von ihnen wünschen sich wohl heute, sie hätten sie damals befolgt.
Umso tragischer, dass der Sektenführer Charles Manson aus McCartneys Achterbahn-Song „Helter Skelter“absurderweise eine Aufforderung für seine Mordtaten las. Die Beatles seien „Engel der Apokalypse“, fantasierte er. So schrecklich seine Taten waren, auch sie zeigen auf perverse Weise, wie wichtig diese Band genommen wurde.
Als „a drawing of a revolution“bezeichnete Lennon einmal „Revolution 9“, die von ihm und Yoko Ono gebastelte Soundcollage, von der er aber auch sagte: „Es ist nur eine Menge von Geräuschen.“Die übergangslos in ein Gutenachtlied mündet, das Lennon wohl für seinen Sohn Julian geschrieben hat, gesungen von Ringo Starr, opulent arrangiert von George Martin, beides so, dass keiner sagen kann, ob sich Ironie darin verbirgt oder nicht. Damit war das erste große Manifest der Postmoderne in der Popmusik komplett. Oder, wie die Beatles sagen: Ob-La-Di, Ob-La-Da, life goes on, bra. Man kann das jetzt in Form eines schweren weißen Quaders kaufen, muss aber nicht.