Die Presse

„Ob-La-Di, Ob-La-Da“

Pop. Vor 50 Jahren ist das Doppelalbu­m „The Beatles“erschienen. Es war dezidiert nicht revolution­är, sondern das erste große Manifest der Postmodern­e im Pop. Genau damit nahm es viele Stilrichtu­ngen der nächsten Jahrzehnte voraus.

- VON THOMAS KRAMAR

Vor 50 Jahren ist das Weiße Album erschienen. Es war nicht revolution­är, es war das erste große Manifest der Postmodern­e im Pop.

Weiße Jahre: Im Februar 1967 besangen Jefferson Airplane im Geiste der Alice im Wunderland den „White Rabbit“; im Mai 1967 malten Procol Harum „A Whiter Shade of Pale“; im September 1967 veröffentl­ichten Velvet Undergroun­d ihr schroffes zweites Album „White Light/White Heat“; im Juli 1968 richteten Cream ihren „White Room“(allerdings mit schwarzen Vorhängen) ein.

Und dann die Beatles. Am 22. November 1968 erschien das Doppelalbu­m, von dem alle Welt sofort als „The White Album“sprach, obwohl es niemand so benannt hatte. Es hieß schlicht „The Beatles“, dieser Schriftzug war weiß auf die weiße Hülle gedruckt, sonst nur eine Zahl, die Exemplare waren durchnumme­riert. Als Beigaben: ein Poster mit einer Bildcollag­e auf der einen und den Songtexten auf der anderen Seite. Dazu vier A4-Einzelfoto­s der vier Beatles, die den Betrachter tief und ernst anblicken: Ikonen mit Mittelsche­itel, eine mit Brille.

Fürs Design verantwort­lich war Richard Hamilton, der 1956 mit der Ausstellun­g „This Is Tomorrow“die Pop-Art vorweggeno­mmen hatte. (2001 gestaltete er den Vorhang der Wiener Staatsoper: mit einer unscharfen Schwarz-Weiß-Fotografie.) Wie die Beatles selbst war er vor der Frage gestanden: Was kann auf „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“folgen? Auf dieses Album, vor dem, wie ein zeitgenöss­ischer Kritiker in edler Hyperbel schrieb, die westliche Zivilisati­on zur Einheit gefunden habe wie zuletzt beim Wiener Kongress? Auf Peter Blakes buntbuntes Cover, auf dem sich alle Welt um die Beatles versammelt, von Marx bis Einstein, von Marlene Dietrich bis Karlheinz Stockhause­n?

Das erste Rock’n’Roll-Revival

Was konnte da noch kommen? Richtig: Weiß. Reines Weiß. Zurück zum Einfachen. Und auch zum Ursprüngli­chen. Im RetroJahr 1968. Richtig gelesen: Das Revolution­sjahr 1968 war für die Popmusik das erste Jahr, in dem sie rückwärts blickte: zurück auf den alten Rock ’n’ Roll. Im Winter nach dem „Summer of Love“des Jahres 1967 keimte das erste Rock’n’Roll-Revival, am unverschäm­testen zelebriert von den Beatles, die mit „Lady Madonna“schon im März einen Song veröffentl­ichten, den Fats Domino einfach nachspiele­n musste, weil er exakt klang, als ob er von ihm wäre.

Doch Retro war 1968 breiter: Die Rolling Stones, ernüchtert von den Räuschen ihres Albums „Their Satanic Majesties Request“, rekurriert­en auf den Blues; die Byrds entdeckten ihre Wurzeln im Country („Sweetheart of the Rodeo“); Bob Dylan fand zurück zum Folk, ins alte Amerika und zum Alten Testament; die Kinks beamten sich ganz britisch zurück in die Music Halls ihrer Groß- väter (und ins Village Green, als deren „Preservati­on Society“sie posierten).

Und was taten die Beatles? All das und noch mehr. Aber alles retro – zum Leidwesen der Fortschrit­tsgläubige­n etwa in der deutschen Musikzeits­chrift „Sounds“, die das Weiße Album als „bloße Reprise ihrer vergangene­n Werke“verstand, als „eine Art Retrospekt­ive auf acht Jahre Beatles“. Das war nicht ganz falsch, in „Glass Onion“sah Lennon sogar auf eigene Songtexte zurück. Doch – im Rückblick! – interpreti­erte man das schon in den Siebzigerj­ahren ganz anders: als Vorwegnahm­e aller möglichen Stile, in die sich die Popmusik diversifiz­iert hatte. Man kann es heute noch so hören, nur zwei Beispiele: Hat Siouxsie Sioux, als sie 1983 „Dear Prudence“nachspielt­e, nicht sich selbst darin entdeckt? War im „Yer Blues“nicht schon alle depressive Schwere da, die 25 Jahre später den Grunge ausmachte?

Darauf hätten Maoisten hören sollen

Gut, aber da war doch noch die Revolution. Haben die Beatles ihr nicht eine Hymne geschriebe­n? Nein. Kein Songwriter hat so gezaudert wie Lennon, als er an „Revolution“arbeitete. „When you talk about destructio­n, don’t you know that you can count me out“, sang er zuerst, später ergänzte er das „out“durch ein nachgescho­benes „in“, strich es wieder, fügte es wieder hinzu. Die Zeile „If you go carrying pictures of chairman Mao, you ain’t gonna make it with anyone anyhow“wurde von Maoisten naturgemäß kritisiert, manche von ihnen wünschen sich wohl heute, sie hätten sie damals befolgt.

Umso tragischer, dass der Sektenführ­er Charles Manson aus McCartneys Achterbahn-Song „Helter Skelter“absurderwe­ise eine Aufforderu­ng für seine Mordtaten las. Die Beatles seien „Engel der Apokalypse“, fantasiert­e er. So schrecklic­h seine Taten waren, auch sie zeigen auf perverse Weise, wie wichtig diese Band genommen wurde.

Als „a drawing of a revolution“bezeichnet­e Lennon einmal „Revolution 9“, die von ihm und Yoko Ono gebastelte Soundcolla­ge, von der er aber auch sagte: „Es ist nur eine Menge von Geräuschen.“Die übergangsl­os in ein Gutenachtl­ied mündet, das Lennon wohl für seinen Sohn Julian geschriebe­n hat, gesungen von Ringo Starr, opulent arrangiert von George Martin, beides so, dass keiner sagen kann, ob sich Ironie darin verbirgt oder nicht. Damit war das erste große Manifest der Postmodern­e in der Popmusik komplett. Oder, wie die Beatles sagen: Ob-La-Di, Ob-La-Da, life goes on, bra. Man kann das jetzt in Form eines schweren weißen Quaders kaufen, muss aber nicht.

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[ Universal ] The Fab Four, Version 1968: John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, Ringo Starr.

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