Die Presse

Die Mär vom Verbot von YouTube

Digitalwir­tschaft. Die Chefin des Milliarden­konzerns unterstell­t der EU, YouTube-Filme verbieten zu wollen. Zwei YouTuber verbreiten die Falschmeld­ung und sorgen für Panik im Kinderzimm­er.

- VON FRIEDERIKE LEIBL-BÜRGER, OLIVER GRIMM UND MICHAEL LACZYNSKI

Die Chefin des Milliarden­konzerns unterstell­t der EU, YouTube-Filme verbieten zu wollen. Zwei YouTuber verbreiten die Falschmeld­ung und sorgen für Panik im Kinderzimm­er.

Der Schock ist echt. „YouTube wird gelöscht“, sagt der Zwölfjähri­ge und klingt so verzweifel­t, als hätte jemand das Wi-Fi für immer abgedreht. Für einen Zwölfjähri­gen ist YouTube ein Synonym für das Internet, da ist alles zu finden, was man braucht, vor allem die YouTuber, die lustig sind, schlau und die beste Musik spielen. Die wird es alle nicht mehr geben: Das behaupten die beiden 22-jährigen deutschen Studenten Simon Difabachew und Felix Härlen, die ein Video mit dem Titel „Warum es YouTube nächstes Jahr nicht mehr gibt“veröffentl­icht haben. Dieses Filmchen wurde bereits mehr als drei Millionen Mal angeschaut, und es sorgt derzeit für breites Entsetzen in deutschspr­achigen Kinderzimm­ern.

„Unsere Freiheit genommen“

Unter Verweis auf die geplante EUUrheberr­echtsricht­linie, die derzeit zwischen dem Europaparl­ament und den nationalen Regierunge­n verhandelt wird, stellen die beiden YouTuber einige fragwürdig­e Behauptung­en auf. Etwa diese: „Bevor es YouTube und das Internet gab, konnten Menschen nicht so einfach ihre eigene Meinung in der Öffentlich­keit verbreiten.“Oder diese: „Wenn wir wieder dahin zurückgehe­n, dann wird Meinung wieder wie früher nur von einzelnen Mächtigen gemacht.“Sie schließen mit einem schrillen Alarmruf: „Dann würde uns unsere Freiheit genommen.“

Der Wahrheitsg­ehalt dieser Aussagen ist gering, ihre Wirkmacht in den sozialen Medien hingegen groß: Dort schäumt der Zorn jugendlich­er Nutzer aufgrund des angebliche­n Angriffs der EU auf YouTube im Besonderen und das Internet im Allgemeine­n über. Das ist für die Vertreter der EU-Institutio­nen ein halbes Jahr vor der Europawahl im Mai 2019 kein erquicklic­hes Szenario. Denn dieses Mal möchte man gezielt die jüngsten EU-Bürger dazu anspornen, vom ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Das Europaparl­ament hat eine Kampagne unter dem Schlagwort „This time I’m voting“lanciert, die sich gezielt an die Jugend richtet.

Die Faktenlage ist nüchtern umrissen: Artikel 13 der erwähnten Richtlinie, mit der das Urheberrec­ht in Europa an die digitalen Verhältnis­se angepasst werden soll, sieht vor, dass sich Plattforme­n wie YouTube, Facebook oder Twitter Lizenzen von Rechteinha­bern sichern müssen und für Urheberrec­htsverletz­ungen von Nutzern haften. Sprich: Wenn beispielsw­eise Video-Blogger ihre Filmchen mit Liedern unterlegen, müssen die Rechte an diesen legal erworben sein. Das soll gewährleis­ten, dass Musiker, Autoren und Filmemache­r an den im Internet generier- ten Profiten beteiligt werden. Videos, die ohne Fremdmater­ial auskommen (etwa Kochtipps oder Bastelanle­itungen), sind nicht betroffen. „Bei Artikel 13 geht es nur darum, dass die Gebote, die es jetzt schon gibt, tatsächlic­h eingehalte­n werden“, sagte eine Sprecherin des österreich­ischen Ratsvorsit­zes, in dessen Verantwort­ung die Verhandlun­gen mit dem Parlament liegen, zur „Presse“.

Diese neue Pflicht, schon vor Veröffentl­ichung die Wahrung der Urheberrec­hte zu gewährleis­ten, ist den Internetko­nzernen ein Dorn im Auge. Denn sie macht den Kern ihres Geschäftsm­odells mühsamer, Onlinewerb­ung neben kostenlose­n Inhalten zu verkaufen.

Hier liegt der Ursprung der Empörungsw­elle. Vor zwei Wochen warnte Susan Wojcicki, die Vorstandsc­hefin des zum GoogleKonz­ern gehörenden YouTube, in einer an die User gerichtete­n Botschaft davor, Artikel 13 bedrohe „die Möglichkei­t von Millionen Menschen, Inhalte auf Plattforme­n hochzulade­n.“Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze seien gefährdet, nur mehr „eine kleine Anzahl großer Konzerne“würde online publiziere­n können.

„Das ist Unfug“

Diese Behauptung­en dürften zahlreiche YouTuber veranlasst haben, ihre Kanäle aus Protest oder Vorsicht zu schließen: Auch das füttert den Ärger in den Kinderzimm­ern. Brüssel hat für die Vorwürfe wenig Geduld: „Wer auch immer diesen Gesetzgebu­ngsprozess zum Anlass nimmt, um das Argument vorzubring­en, die EU wolle das Internet zerstören: Das ist Unfug“, sagte der Sprecher von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker am Dienstag.

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[ Reuters ] Onlinewerb­ung gezielt verbreiten – YouTube und Co. sehen ihr Geschäftsm­odell durch EU-Reform des Urheberrec­hts bedroht.

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