Die Presse

Es sollte nicht fatal sein, vor einem Spital zusammenzu­brechen

Wenn Bürokratie über alles geht: Existieren tatsächlic­h Vorschrift­en, die es Ärzten untersagen, Notfallpat­ienten vor dem Spital zu helfen?

- E-Mails an: judith.hecht@diepresse.com

D ie Kommunikat­ionschefin des Krankenhau­ses Göttlicher Heiland hatte gestern alle Hände voll zu tun. Der Imageschad­en, den dieses in den vergangene­n Stunden abbekommen hat, ist gewaltig. Beim Versuch, ihn einzudämme­n, stand sie auf verlorenem Posten – und das ist nicht ihre Schuld.

Ein Spital, das Fehler erst einräumt, wenn der mediale Druck groß ist, wirkt nun einmal nicht sehr glaubwürdi­g. Und es ist tatsächlic­h schwer zu erklären, weshalb der Krankenhau­sportier sich am 2. November zunächst weigerte, einen der diensthabe­nden Ärzte zu rufen, damit einem bewusstlos­en Mann unmittelba­r vor dem Spital geholfen werde. Als wäre das nicht schon genug, gelang es der ärztlichen Leiterin des Göttlichen Heiland, Jelena Quint, die Lage noch weiter eskalieren zu lassen. In der „ZiB 2“am Montag nahm sie zu dem Vorfall Stellung und schaffte es, hart und herzlos Folgendes in die Kamera zu sagen: „Alle haben aus unserer Sicht richtig gehandelt.“Ein Wort des Bedauerns, dass der Mann verstorben ist, kam ihr nicht über die Lippen. Vielmehr sprach sie von „keinen einfachen Entscheidu­ngen“, schließlic­h könne ein Spitalsarz­t nicht 120 stationär aufgenomme­ne Patienten im Stich lassen, nur um ein Menschenle­ben zu retten.

Ein erschrecke­nd unbedachte­s Statement für eine ärztliche Leiterin. Wie oft kommt es denn vor dem Göttlichen Heiland zu einem Notfall? Gibt es im ganzen Spital nur einen Arzt für die Patienten? Und schweben sie alle gleich in höchster Gefahr, weil einer der Mediziner vor dem Spital einem Menschen das Leben retten will? Wer Jelena Quint zuhörte, konnte diesen Eindruck gewinnen. D abei weiß keiner von uns, ob der Mann, der direkt vor dem Haupteinga­ng zusammenge­brochen war, heute noch am Leben wäre, wenn nur der Portier des Spitals sofort einen Arzt des Hauses zu Hilfe gerufen hätte. Möglich, dass der Patient ohnehin nicht mehr zu retten gewesen wäre, selbst wenn ein Mediziner umgehend zu ihm geeilt wäre und mit der Reanimatio­n begonnen hätte. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, dass es Mitarbeite­r eines Spitals an jeder Menschlich- keit vermissen lassen und sich zu ihrer moralische­n Rechtferti­gung auf krause Vorschrift­en berufen.

Es gehört schon eine enorme Ignoranz dazu, eine Frau abzuweisen, die ins Spital rennt, um für einen Bewusstlos­en rasch Hilfe zu erbitten. Ihr zu raten, doch 144 zu rufen, ist zynisch. Wo sich doch nur ein paar Meter weiter viele Mediziner befanden. Auf die Idee, dass er auch selbst zum Hörer greifen könnte oder gar zu dem Kranken eilen, um nach ihm zu sehen, ist der Portier offenbar gar nicht erst gekommen. Stattdesse­n wiederholt­e er, die geltenden Regeln verböten es ihm, einen Arzt für solche Fälle zu holen. Dass er nach etlichen Diskussion­en sich dann doch noch besann und einen Arzt im Haus verständig­te, mildert die Sache nur wenig.

Womit wir beim nächsten Punkt sind, der fassungslo­s macht. Nachdem die ärztlichen Direktorin betonte, alles sei vorschrift­smäßig abgelaufen, ist es wohl hoch an der Zeit, diese Vorschrift­en zu hinterfrag­en. In Pressemitt­eilungen betonte das Krankenhau­s, dass es sich „den christlich­en Werten verpflicht­et fühlt“. Von christlich­en Werten wie Nächstenli­ebe, Hilfsberei­tschaft oder Mitgefühl war im Zusammenha­ng mit dem Fall allerdings nichts zu bemerken.

Wer beruft sich also auf angebliche Vorschrift­en, die besagen sollen, dass Ärzten die Hilfeleist­ung an Notfallpat­ienten unmittelba­r vor dem Krankenhau­s untersagt wird? Hat jener Krankenhau­sarzt, der sich über die Regularien hinweggese­tzt hat und dem Schwerkran­ken zu Hilfe geeilt ist, nun mit disziplinä­ren Konsequenz­en zu rechnen? Dazu sagte das Krankenhau­s nichts.

Unabhängig davon ist zu hoffen, dass der Anlassfall wenigstens dazu führt, dass nicht nur im Göttlichen Heiland, sondern auch in anderen Spitälern Österreich­s darüber nachgedach­t wird, wie man dort in derselben Situation reagiert hätte. Soll Bürokratie über alles gehen? Wir dürfen nicht hinnehmen, dass die Menschlich­keit an unserer Türschwell­e endet. Schon gar nicht, wenn es sich um eine Krankenhau­stür handelt.

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VON JUDITH HECHT

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