Es sollte nicht fatal sein, vor einem Spital zusammenzubrechen
Wenn Bürokratie über alles geht: Existieren tatsächlich Vorschriften, die es Ärzten untersagen, Notfallpatienten vor dem Spital zu helfen?
D ie Kommunikationschefin des Krankenhauses Göttlicher Heiland hatte gestern alle Hände voll zu tun. Der Imageschaden, den dieses in den vergangenen Stunden abbekommen hat, ist gewaltig. Beim Versuch, ihn einzudämmen, stand sie auf verlorenem Posten – und das ist nicht ihre Schuld.
Ein Spital, das Fehler erst einräumt, wenn der mediale Druck groß ist, wirkt nun einmal nicht sehr glaubwürdig. Und es ist tatsächlich schwer zu erklären, weshalb der Krankenhausportier sich am 2. November zunächst weigerte, einen der diensthabenden Ärzte zu rufen, damit einem bewusstlosen Mann unmittelbar vor dem Spital geholfen werde. Als wäre das nicht schon genug, gelang es der ärztlichen Leiterin des Göttlichen Heiland, Jelena Quint, die Lage noch weiter eskalieren zu lassen. In der „ZiB 2“am Montag nahm sie zu dem Vorfall Stellung und schaffte es, hart und herzlos Folgendes in die Kamera zu sagen: „Alle haben aus unserer Sicht richtig gehandelt.“Ein Wort des Bedauerns, dass der Mann verstorben ist, kam ihr nicht über die Lippen. Vielmehr sprach sie von „keinen einfachen Entscheidungen“, schließlich könne ein Spitalsarzt nicht 120 stationär aufgenommene Patienten im Stich lassen, nur um ein Menschenleben zu retten.
Ein erschreckend unbedachtes Statement für eine ärztliche Leiterin. Wie oft kommt es denn vor dem Göttlichen Heiland zu einem Notfall? Gibt es im ganzen Spital nur einen Arzt für die Patienten? Und schweben sie alle gleich in höchster Gefahr, weil einer der Mediziner vor dem Spital einem Menschen das Leben retten will? Wer Jelena Quint zuhörte, konnte diesen Eindruck gewinnen. D abei weiß keiner von uns, ob der Mann, der direkt vor dem Haupteingang zusammengebrochen war, heute noch am Leben wäre, wenn nur der Portier des Spitals sofort einen Arzt des Hauses zu Hilfe gerufen hätte. Möglich, dass der Patient ohnehin nicht mehr zu retten gewesen wäre, selbst wenn ein Mediziner umgehend zu ihm geeilt wäre und mit der Reanimation begonnen hätte. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, dass es Mitarbeiter eines Spitals an jeder Menschlich- keit vermissen lassen und sich zu ihrer moralischen Rechtfertigung auf krause Vorschriften berufen.
Es gehört schon eine enorme Ignoranz dazu, eine Frau abzuweisen, die ins Spital rennt, um für einen Bewusstlosen rasch Hilfe zu erbitten. Ihr zu raten, doch 144 zu rufen, ist zynisch. Wo sich doch nur ein paar Meter weiter viele Mediziner befanden. Auf die Idee, dass er auch selbst zum Hörer greifen könnte oder gar zu dem Kranken eilen, um nach ihm zu sehen, ist der Portier offenbar gar nicht erst gekommen. Stattdessen wiederholte er, die geltenden Regeln verböten es ihm, einen Arzt für solche Fälle zu holen. Dass er nach etlichen Diskussionen sich dann doch noch besann und einen Arzt im Haus verständigte, mildert die Sache nur wenig.
Womit wir beim nächsten Punkt sind, der fassungslos macht. Nachdem die ärztlichen Direktorin betonte, alles sei vorschriftsmäßig abgelaufen, ist es wohl hoch an der Zeit, diese Vorschriften zu hinterfragen. In Pressemitteilungen betonte das Krankenhaus, dass es sich „den christlichen Werten verpflichtet fühlt“. Von christlichen Werten wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft oder Mitgefühl war im Zusammenhang mit dem Fall allerdings nichts zu bemerken.
Wer beruft sich also auf angebliche Vorschriften, die besagen sollen, dass Ärzten die Hilfeleistung an Notfallpatienten unmittelbar vor dem Krankenhaus untersagt wird? Hat jener Krankenhausarzt, der sich über die Regularien hinweggesetzt hat und dem Schwerkranken zu Hilfe geeilt ist, nun mit disziplinären Konsequenzen zu rechnen? Dazu sagte das Krankenhaus nichts.
Unabhängig davon ist zu hoffen, dass der Anlassfall wenigstens dazu führt, dass nicht nur im Göttlichen Heiland, sondern auch in anderen Spitälern Österreichs darüber nachgedacht wird, wie man dort in derselben Situation reagiert hätte. Soll Bürokratie über alles gehen? Wir dürfen nicht hinnehmen, dass die Menschlichkeit an unserer Türschwelle endet. Schon gar nicht, wenn es sich um eine Krankenhaustür handelt.