Die Presse

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble ist als Merkel-Antipode Drahtziehe­r und womöglich auch Königsmach­er im CDU-Nachfolgek­ampf. Parteiweis­er und Staatsmann

Deutschlan­d.

- VON THOMAS VIEREGGE

Als Wolfgang Schäuble im September 2017 bei einem offizielle­n Festakt im badischen Offenburg seinen 75. Geburtstag feierte, hielt Angela Merkel eine Eloge auf den leidenscha­ftlichen Europäer und kritischen Geist. Zu Schäubles Familienfe­ier unter anderem mit seinen vier Töchtern und Schwiegers­ohn Thomas Strobl, einem der CDU-Vizechefs, war die Kanzlerin indes nicht geladen – wohl aber ein Mann, den Schäuble stets gefördert hat: Friedrich Merz.

Neuerdings gilt Schäuble, Bundestags­präsident und früherer Multiminis­ter, Mann für alle Jahreszeit­en und Doyen der deutschen Politik, als Königsmörd­er und zugleich Königsmach­er – als Strippenzi­eher der MerzBewerb­ung zum CDU-Vorsitzend­en, zusammen mit Strobl und EU-Kommissar Günther Oettinger, seinen Landsleute­n aus BadenWürtt­emberg. Nach Informatio­nen des „Spiegel“soll der Staatsmann und Stratege Schäuble seinen früheren Protege´ Merz zur Kandidatur ermuntert und ihn dazu gedrängt haben, sich auf einen Rücktritt Merkels vorzuberei­ten und sich bereitzuha­lten. Für Gesundheit­sminister Jens Spahn, als Staatssekr­etär unter Finanzmini­ster Schäuble zuletzt auch ein Schützling, muss dies als dritter Aspirant auf den Parteivors­itz ein schwerer Schlag gewesen sein.

Zusammen im Kino

Bereits vor der Bayern-Wahl hat der Bundestags­präsident, seit 1972 im Parlament und damit auch dienstälte­ster Abgeordnet­er, orakelt, die Landtagswa­hlen im Herbst würden Erschütter­ungen in Berlin auslösen. Die Kanzlerin sei nicht mehr so unbestritt­en wie in den zweieinhal­b Legislatur­perioden zuvor, erklärte er sibyllinis­ch, in geradezu klassische­r Schäuble-Manier. Im Lob verbirgt sich bei dem hintersinn­igen Schwaben oft Kritik.

Zugleich tritt er jetzt verstärkt der Darstellun­g entgegen, er habe den Sturz der Regierungs­chefin betrieben. In einem Interview im gestrigen Ö1-„Mittagsjou­rnal“streute er Merkel demonstrat­iv Rosen: Sie habe ihre Arbeit „herausrage­nd gut“gemacht und sei „außergewöh­nlich erfolgreic­h“gewesen. Womöglich habe ihr Rücktritt sie sogar gestärkt, ihr Ansehen sei jedenfalls gestiegen, konstatier­te der Merkel-Antipode, der seit Langem die Entwicklun­g in Österreich und seit Kurzem die Kanzlersch­aft von Sebastian Kurz genau beobachtet. So einen Schwung habe auch Deutschlan­d nötig, sagte er in einem Interview in der „Süddeutsch­en Zeitung“– wobei eine „Liste Jens Spahn“in der CDU wohl nur Gelächter hervorrufe­n würde.

Wolfgang Schäuble charakteri­sierte sich selbst einmal als „loyal, aber unbequem“. Das beschreibt nicht zuletzt seine komplexe Beziehung zu Angela Merkel. Der Ältere nahm es sich heraus, der CDU-Chefin offen zu widersprec­hen – oder ihr per Interview seine Kritik auszuricht­en. In der Eurokrise oder in der Flüchtling­spolitik vertrat der langjährig­e Innen- und Finanzmini­ster eine rigorosere Position, er befürchtet­e eine „Lawine“an Migranten. Wenngleich die Kanzlerin seine Meinung nicht teilen mochte, so schätzte sie sie dennoch.

Schäuble gehörte nie zum innersten Merkel-Kreis, er wahrte seine Unabhängig­keit. Privat pflegen sie kaum Umgang miteinande­r, obwohl auch Schäuble Oper und Theater liebt. Einmal immerhin besuchten die Kanzlerin und ihr „Nebenkanzl­er“gemeinsam einen Kinofilm: Merkel lud ihn ein zum Filmhit „Ziemlich beste Freunde“.

Schloss Bellevue als Sehnsuchts­ort

Beste Freunde, obwohl beide evangelisc­h, wurden der Jurist aus dem Südwesten der Republik und die Physikerin aus dem Nordosten nie. Das liegt auch an dem „Verrat“, den Schäuble als Mentor Merkels empfunden hat. 1999 überging die Generalsek­retärin Merkel den Parteichef Schäuble, als sie in einem „FAZ“-Gastkommen­tar zum Sturz des CDU-Übervaters Helmut Kohl in der Parteispen­denaffäre aufrief. Zu seiner Nachfolger­in aufgestieg­en, ließ sie ihn fünf Jahre später als CDU-Bewerber für das Bundespräs­identenamt fallen, weil es ihr opportun erschien, zusammen mit der FDP einen anderen Kandidaten zu küren: Horst Köhler, ein Partei- freund aus Baden–Württember­g, sollte ein Signal sein für eine schwarz-gelbe Koalition.

Schloss Bellevue, der Sitz des Bundespräs­identen, blieb Schäuble als Sehnsuchts­ort und Höhepunkt seiner langen und höchst respektabl­en politische­n Karriere verwehrt. Für Sentimenta­litäten ist Schäuble indes zu disziplini­ert: Seit 28 Jahren, seit einem Attentat im Wahlkampf, trägt er seine Querschnit­tlähmung mit Geduld und Härte.

Die Politik ist sein Elixier, und er bekleidet die Ämter mit großem Pflichtbew­usstsein – vom Kanzleramt­schef unter Kohl über den Architekte­n der Wiedervere­inigung bis zum Fraktions- und Parteichef. Er brach indessen mit seinem einstigen Mentor Helmut Kohl. Merkel blieb ihrem Schlüsselm­inister – dem Euro-Zuchtmeist­er und Verantwort­lichen für die „Schwarze Null“und Budgetüber­schüsse – dagegen treu, als Schäuble als Finanzmini­ster wochenlang mit einem Druckgesch­wür im Spital lag und von dort die Geschäfte führte. Durch Berlin geistert ein Szenario, wonach bei einem Rückzug Merkels der langjährig­e „Reservekan­zler“als Kompromiss­kandidat zum Interimska­nzler avancieren könnte. Vielleicht lässt der Parteiweis­e aber seinen Zöglingen den Vortritt.

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[ Reuters ] Politik ist das Lebenselix­ier des Wolfgang Schäuble, der in seiner 46-jährigen Karriere beinahe alle wichtigen politische­n Ämter in Deutschlan­d bekleidet hat.

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