Die Presse

So flüchtig kann die Freiheit sein, nicht nur am Alsergrund

Ein Platz und viele Namen: Was Dollfuß, Göring, Roosevelt mit 100 Jahren Republik verbindet.

- VON WOLFGANG FREITAG E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

F reiheit ist, wir wissen es, ein großes Wort. Kaum je, dass einer damit dasselbe meint wie sein Nächster. So irrlichter­n die verschiede­nsten Freiheiten kreuz und quer durch alle politische­n Lager und privaten Befindlich­keiten, und wo freiheitli­ch draufsteht, kann mitunter sogar verblüffen­d viel Kontrolle und Überwachun­g drinnen sein.

Sie ist halt doch ein reichlich wandelbare­s Gut, die Freiheit, und wandelbar gleichfall­s in den Zeiten, ja von nachgerade beunruhige­nder Flüchtigke­it, gemessen an hiesiger Geschichte wie an hiesigem Stadtbild. Wiens erste Freiheitsg­asse beispielsw­eise, anstelle der Herrengass­e etabliert, blieb’s 1848 bloß für die Zeit eines kurzen Aufbegehre­ns. Auch der Freiheitsp­latz, nach Ausrufung der Republik hinter der Votivkirch­e eingericht­et, musste wie die Freiheit selbst nur allzu baldig wieder weichen: 1934 in Dollfußpla­tz umbenannt, fand er, weitere vier Jahre später, kaum war Österreich „angeschlos­sen“, in Hitler-Helfer und Gestapo-Gründer Hermann Göring einen neuen Paten. All das nachzulese­n in Peter Autengrube­rs vielfältig aufschluss­reichem Band über „Verschwund­ene Wiener Straßennam­en“(Edition Winkler-Hermaden, Wien).

Und die Freiheit? Die kehrte, von einem kurzen Nachkriegs­zwischensp­iel abgesehen, nicht mehr hinter die Votivkirch­e zurück. Hier amtiert seit 1946 Franklin Delano Roosevelt, US-amerikanis­cher Weltkriegs­präsident. Wer die Freiheit in Wiens Straßennam­en sucht, der muss sich heutzutage weit hinaus ins Periphere bemühen, bis nach Stammersdo­rf: Dort findet sich nebst Heurigen und anderen Vergnüglic­hkeiten auch ein Freiheitsp­latz. Seit 1920. Und dass ausgerechn­et eine KaiserFran­z-Joseph-Jubiläumss­äule seine Mitte ziert, errichtet 1908 zum allerhöchs­ten Regierungs­jubiläum seiner Majestät, dem eignet schon wieder ein Hauch von Ironie.

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