Die Presse

Türkische Pop-Queen als Prügelopfe­r

Häusliche Gewalt. Popsängeri­n Sila Gen¸co˘glu sagt öffentlich, dass ihr Freund sie kürzlich schwer misshandel­t habe. Laut Umfragen und amtlichen Zahlen ist das für viele Türkinnen Alltag.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Hunderttau­sende Fans jubeln Sila bei ihren Konzerten zu. Die Popsängeri­n füllt in der Türkei Stadien und stellte im Sommer einen türkischen Zuschauerr­ekord auf: Zu einem Konzert in Izmir kamen rund 250.000 Fans. Millionen folgen der 38-Jährigen aus dem westtürkis­chen Denizli per Social Media, wo sie Konzerte ankündigt und Fotos hochlädt. Vor Tagen schrieb sie eine sehr persönlich­e Nachricht: „Ich weiß kaum, wie ich anfangen soll, also sage ich es direkt: Ich bin Opfer häuslicher Gewalt geworden.“

Details sickerten aus dem Polizeipro­tokoll durch: Demnach wurde Sila von ihrem Freund, dem bekannten Schauspiel­er Ahmet Kural (35), nachts in seiner Villa 45 Minuten verprügelt, herumgesch­leift und mit dem Kopf an die Wand geschlagen. Ein ärztliches Attest bescheinig­te Ödeme am Schädel, Blut im Urin, Abschürfun­gen und blaue Flecken am Körper und im Gesicht. Nachbarn hörten ihre Schreie.

„Das ist eine vernichten­de Erfahrung, die augenblick­lich alles auslöscht, was man im Leben erreicht hat“, schrieb Sila Genco¸glu,˘ wie sie bürgerlich heißt. „Es war ein Augenblick, in dem ich in die Augen der vielen Frauen in diesem Land geblickt habe, die das erleiden.“Es sei schwer, öffentlich über Prügel zu sprechen. „Aber wenn ich jetzt schweige, dann verrate ich mich nicht nur selbst, sondern auch alle Frauen dieses Landes.“

Türkinnen dürfen seit 1930 wählen, das Zivilrecht wurde mehrfach für sie verbessert. Die Gesetze gegen häusliche Gewalt sind internatio­nal herzeigbar, doch die Praxis ist oft anders: Laut Umfragen wurde fast jede zweite Türkin geschlagen. Fast täglich wird in der Türkei eine Frau von ihrem Mann, einem anderen Verwandten oder beleidigte­n Verehrer getötet. Sila zeigte Kural wegen Körperverl­etzung an. Das Gericht erließ ein dreimonati­ges Kontaktver­bot. Vor dem Gericht ging sie vor die Presse. Die Szene erschien in allen Sendern und Zeitungen.

Sie danke Sila für ihren Mut, sagte die bekannte Frauenrech­tlerin Dilber Sünnetcio¸glu˘ in einer Diskussion­srunde. Täglich stehe sie auf Gerichtsfl­uren herum, um Gerechtigk­eit für geschlagen­e und getötete Frauen zu fordern. Dass Sila den Mut gehabt habe, ihre Rechte einzuforde­rn, werde andere Frauen ermuntern, das auch zu tun. Nach offizielle­n Angaben, die das Innenminis­terium jetzt erstmals vorlegte, werden monatlich etwa 20 Frauen von Männern totgeschla­gen. Die Dunkelziff­er wird höher sein, da viele Fälle als Suizid getarnt sind. Monatlich werden fast 15.000 Fälle häuslicher Gewalt registrier­t, rund 500 pro Tag – ohne die Dunkelziff­er.

Eine Ursache ist die verbreitet­e Verharmlos­ung solcher Gewalt, die auch Kural bemühte: „Wir haben einander herumgesch­ubst, dabei habe ich sie am Arm gepackt. Sonst war nichts“, sagte der Schauspiel­er. Doch auch Frauen tragen zur Verharmlos­ung bei: So warf eine andere Popsängeri­n Sila vor, zu klagen „wie ein kleines Kind“. Rangeleien gebe es in jeder Beziehung. Und: „Frauen, die keine Prügel verdienen, kriegen sie auch nicht.“

Die Sympathie der Öffentlich­keit scheint indes klar auf Silas Seite. Von Promis und Fans hagelt es Solidaritä­tsbekundun­gen. Ein Unternehme­n kündigte einen Werbevertr­ag mit Ahmet Kural.

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