Tausend Irrwege und ein Dornröschenschloss an der Donau
40 Jahre nach der Anti-Atomkraft-Volksabstimmung: In Zwentendorf kann man Eigenheiten der österreichischen politischen Kultur besichtigen.
ber den Auwäldern an der Donau hängt in diesen Tagen der Nebel. Die Baumwipfel mit ihren gelb und rot verfärbten Blättern schmiegen sich an die Uferböschung. Krähen fliegen auf. Aus der verwunschenen Szenerie ragt ein 110 Meter hoher Turm auf. Nein, nicht Rapunzel wohnt hier, um gleich ihr Haar herunterzulassen, sondern eher Dornröschen. Denn der Turm ist der Schlot des Atomkraftwerks Zwentendorf. Vor genau 40 Jahren, am Tag nach der Volksabstimmung über die friedliche Nutzung der Atomenergie, fiel das Gemäuer in einen tiefen Schlaf und ist bis heute nicht mehr richtig aufgewacht.
Die Portiersloge mit den Wählscheibentelefonen; die Schleuse mit den pastellfarbenen Overalls, die alle Angestellten hätten tragen müssen, um keine Radioaktivität mit nach Hause zu nehmen; das gigantische Siedewasserbecken, in das die Uranbrennstäbe getaucht hätten werden sollen; die Steuerungszentrale im Original-1970er-Design: Man kann sich das alles anschauen – und etwas über Österreich lernen dabei.
Zum Beispiel dieses: Dass wir in vielen Bereichen richtig gut sein können – technologisch, organisatorisch, arbeitsethisch –, aber diese Expertise dann ins Leere läuft. Die vielen hochqualifizierten Techniker, die mehrere Jahre damit verbringen mussten, ihr fixfertiges Werk abzustauben und mit Ölkännchen ihre Runden zu drehen, damit die Maschinen nicht verrosten, sind tragische Figuren, die einem zutiefst leidtun können. So viel Energie! So wenig Anerkennung!
Oder dieses: Dass wir die Kunst des Hätte-Wäre perfektioniert haben. Dass wir gern groß denken, aber bei der konkreten Durchführung kalte Füße kriegen. Dass wir bei der Reihenfolge durcheinanderkommen: Erst bauen wir – und nachher entscheiden wir, was wir überhaupt bauen wollen. Oder dieses: Wie schwer wir uns tun, sachlich zu diskutieren, und wie sehr uns ständig Inhalt und politsche Taktik durcheinanderkommen.
Hier eine kurze Zusammenfassung der Volksabstimmungsgeschichte: Die ÖVP (unter der Alleinregierung Josef Klaus) beschließt die Errichtung des AKW. Unter der SPÖ (Bruno Kreisky) wird genau das umgesetzt – woraufhin die ÖVP umschwenkt. Sie ist zwar prinzipiell für die Kernkraft, aber jetzt gegen das Kraftwerk. Die FPÖ ist prinzipiell für direkte Demokratie, aber gegen die Volksabstimmung. Kreisky hingegen ist prinzipiell gegen Volksabstimmungen, setzt jedoch eine an und verknüpft sie mit seiner Person („Wenn das AKW abgelehnt wird, trete ich zurück“).
Was bedeutet: Menschen, die Atomkraft super finden, stimmen gegen das AKW, um Kreisky loszuwerden. Gleichzeitig stimmen Menschen, die sich vor Atomkraft fürchten, für das AKW, um Kreisky zu behalten. Nach dem knappen „Nein“bricht Kreisky sein Rücktrittsversprechen – was mit einem fulminanten Sieg bei der nächsten Wahl belohnt wird. Muss man noch mehr wissen über direkte Demokratie in Österreich?
Gleichzeitig zeigen sich jedoch auch positive Seiten. Zwentendorf führt uns vor Augen, dass der Weg zur Erkenntnis nicht immer geradlinig verläuft, sondern auf Umwegen – und dass manche Umwege unerwartete Reize haben.
Zwar wird im AKW heute kein Atomstrom erzeugt, aber immerhin ein bisschen Solarstrom (wenn die Sonne scheint). Es dient als strahlungsfreies Testgelände für Expertenteams, die anderswo ausgediente AKWs abwracken müssen. Tauchroboter können hier üben, ebenso wie Sicherheitspersonal und Antiterroreinheiten. Es werden Filme gedreht – meistens handeln sie von der drohenden Auslöschung der Welt durch Bösewichte. Es gibt Grillfeste und Musikfestivals. Die Gendarmerie kann auf dem Gelände Katastrophenszenarien durchspielen. Und am nächsten Tag kommen Greenpeace-Aktivisten und lernen, wie man auf Schlote klettert und Transparente entrollt.
Zwentendorf zeigt, dass man durch Irrtum manchmal gescheiter wird. In diesem Sinn: Schauen Sie sich das an!