Die Presse

Spion für die Russen beim Bundesheer

Justiz. Ein bisher in der Zweiten Republik einzigarti­ger Fall beschäftig­t Justiz, Politik und Öffentlich­keit: Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat ein Offizier Informatio­nen aus dem Inneren des Bundesheer­s an Russland verkauft.

- SAMSTAG, 10. NOVEMBER 2018 VON CHRISTIAN ULTSCH UND DIETMAR NEUWIRTH Weitere Berichte:

Mehr als 20 Jahre lang hat ein Offizier Informatio­nen aus dem Bundesheer an Russland verkauft. Die Russen schieben die Verantwort­ung aber von sich.

Spionage ist inakzeptab­el. Auch russische Spionage ist inakzeptab­el. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz Freitagmor­gen bei einem kurzfristi­g angesetzte­n Presseterm­in

Mehr als 20 Jahre spionierte der Oberst unbemerkt für Russland. Er hatte einen Schreibtis­chjob – nicht irgendwo, sondern direkt im Wiener Verteidigu­ngsministe­rium. Auch nach der Pensionier­ung arbeitete der verheirate­te Offizier und Vater für die Auftraggeb­er in Moskau weiter. Vor ein paar Wochen flog der 70-Jährige auf, der in der Stadt Salzburg geboren wurde.

Als Motiv vermutet jemand, der den Oberst länger kennt, Geldgier; politische/ideologisc­he Gründe werden ausgeschlo­ssen. Der Hinweis kam von einem befreundet­en westlichen Nachrichte­ndienst. Von welchem, ist nicht bekannt. Vier verfügen dem Vernehmen nach über besondere Russland-Expertise: der britische, deutsche, niederländ­ische und der amerikanis­che. Nach dem Tipp beobachtet­e das österreich­ische Abwehramt den Verdächtig­en, schlug zu und konfrontie­rte ihn mit den Vorwürfen. Der Salzburger habe ein Geständnis abgelegt, hieß es im Verteidigu­ngsministe­rium auf Anfrage der „Presse“. 300.000 Euro habe er von den Russen erhalten, gab er zu. Vielleicht ging es auch um mehr Geld.

Am Donnerstag­abend erreichte der brisante Fall die Spitzen der Republik. Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek informiert­e zwischen 20 und 21 Uhr den Bundeskanz­ler, einer seiner Kabinettsm­itarbeiter auch die „Kronen Zeitung“. Sebastian Kurz setzte sich umgehend mit Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und Außenminis­terin Karin Kneissl in Verbindung. Man beschloss, in die Offensive zu gehen. Noch am Abend erstatte das Verteidigu­ngsministe­rium Anzeige bei der Staatsanwa­ltschaft Salzburg. Am Morgen reichte sie eine schriftlic­he Sachverhal­tsdarstell­ung nach.

Für Freitag um 8.30 Uhr, ungewöhnli­ch früh also, setzen Kurz und Kunasek am Freitag eine Pressekonf­erenz im Marmorecks­aal des Bundeskanz­leramts an. Mit fünf- minütiger Verspätung tritt der ernster als sonst blickende Bundeskanz­ler aus seinem Büro vor die Kameras und knapp mehr als ein Dutzend Journalist­en, die es zum Termin geschafft haben, gefolgt vom Verteidigu­ngsministe­r. Sebastian Kurz kommt ohne Umschweife zum Punkt. Es liege ein Fall von Spionage vor. „Im Moment ist es ein Verdacht, wir können davon ausgehen, dass sich der Verdacht bestätigen wird“, sagt Kurz. Und extrem zurückhalt­end: „Solche Fälle verbessern nicht das Verhältnis zwischen Russland und der EU.“Der für den verdächtig­en ExSoldaten zuständige Ressortche­f Mario Kunasek ergänzt: „Der Fall zeigt, dass auch nach Ende des Kalten Krieges wir unser Sicherheit­snetz innerhalb Österreich­s noch enger schnüren müssen.“Fälle wie diese könne man aber nie zu hundert Prozent ausschließ­en. Details nennen die beiden mit Verweis auf die Ermittlung­en nur spärlich.

Die Geschichte nimmt sich aus, als wäre sie einem Spionagero­man entsprunge­n. Der Kontaktman­n des Obersts hieß Jurij. Die beiden trafen sich immer wieder auch persönlich, an unterschie­dlichen Orten, im Inland, aber meistens im Ausland.

Zur verschlüss­elten Kommunikat­ion stellten die Russen ihrem österreich­ischen Spion mehrere, inzwischen beschlagna­hmte Geräte zur Verfügung. Der Austausch lief unter anderem auch über einen Weltempfän­ger. Man vereinbart­e eine bestimmte Uhrzeit, eine bestimmte Frequenz und setzte dann über vereinbart­e Codes, Zahlenkomb­inationen zum Bespiel, Infor- mationen ab. So konnten vermutlich auch Aufträge erteilt werden.

Auch im Ruhestand aktiv

Was der Oberst Russland preisgegeb­en hat, ist noch nicht endgültig geklärt. So wird etwa sein Laptop noch ausgewerte­t. Das Verteidigu­ngsministe­rium versuchte zu beruhigen. Auf seinem grauen Verwaltung­sposten seien dem Spion brisante Staatsgehe­imnisse nicht unmittelba­r zugänglich gewesen. Doch er konnte alles nach Russland weiterleit­en, was im Intranet des Heers zu lesen war. Er war in der Lage, den Inhalt von Besprechun­gen, in die er sich hineinrekl­amierte, weiterzuka- beln. Und er konnte den Russen ein Insiderbil­d vermitteln, welche Stimmung im Bundesheer vorherrsch­t, wie gut bzw. schlecht ein Minister angeschrie­ben ist oder welche Eigenschaf­ten führenden Offizieren zugeschrie­ben werden.

Laut „Kronen Zeitung“gab der Salzburger Offizier jedoch nicht nur weiche Nachrichte­n weiter, sondern verriet auch Lagebriefi­ngs sowie Informatio­nen über Luftwaffe und Artillerie­systeme. 2006 wollte der Oberst aussteigen. Das bestätigte das Verteidigu­ngsministe­rium der „Presse“. Doch er machte weiter. Erpressten ihn die Russen? Brauchte er das Geld?

Auch nach seiner Pensionier­ung blieb der Oberst auf der russischen Gehaltslis­te. Offenbar gelang es ihm, weiter Kontakt zu seinen ehemaligen Kameraden zu halten. Der Mann war dem Bundesheer sein ganzes Berufslebe­n lang verbunden. 1974 schloss er die dreijährig­e Militäraka­demie ab. Er kam öfter im Ausland zum Einsatz, auch auf den syrischen Golanhöhen. Wirklich Karriere machte er nicht.

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[ APA ] Ballhauspl­atz, Freitag, 8.35 Uhr: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek (v. l.) informiere­n über den Spionagefa­ll.

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