Die Presse

Es spricht der BUNDESPRÄS­IDENT: „Österreich war immer ein Zuwanderun­gsland“

Interview. Eine Polarisier­ung wie in der Zwischenkr­iegszeit sehe er nicht, sagt Alexander Van der Bellen. Und mit der Regierung komme er eigentlich ganz gut aus.

- VON RAINER NOWAK UND OLIVER PINK

Die Presse: Herr Bundespräs­ident, was macht Österreich denn aus? Alexander Van der Bellen: Ein wesentlich­es Charakteri­stikum der Zweiten Republik ist dieses „Beim Reden kommen die Leut’ z’samm’“. Die Gesprächsf­ähigkeit. Das, was die österreich­ische Diplomatie auszeichne­t. Das Zuhören-Können. Trotz widersprüc­hlicher Streitpunk­te doch zu einem Kompromiss zu finden, der beide Seiten einigermaß­en zufriedens­tellt. Das ist ein wesentlich­er Unterschie­d zur Ersten Republik, in der das nicht so ausgeprägt war. Was dann auch zur entspreche­nden Katastroph­e geführt hat.

Die Kehrseite davon war stets die Mauschelei, die Nebenregie­rung der Sozialpart­ner. Ich habe die Sozialpart­nerschaft nie so sehr als Nebenregie­rung empfunden. Sondern als sinnvolles Arbeitnehm­erArbeitge­ber-Gesprächsf­orum. Das hat lange Zeit vorzüglich funktionie­rt.

Sie haben in Ihrer Rede zum diesjährig­en Nationalfe­iertag auch stark Bezug genommen auf das Österreich­ische, auf den dafür typischen Weg der Mitte. Nun ist es aber so, dass man es sich in der Mitte auch recht gemütlich einrichten kann und es sich erspart, Entscheidu­ngen zu treffen, die schmerzvol­l, aber auch notwendig sein können. Das ist schon richtig, was Sie sagen. Jede Medaille hat zwei Seiten. Aber Gesprächsb­ereitschaf­t heißt ja nicht, dass man eine Entscheidu­ng so lang aufschiebt, bis man an Erschöpfun­g halb gestorben ist. Aber das Unversöhnl­iche, das Beharren auf dem eigenen Standpunkt – so, wie es in der Ersten Republik war – meine ich, wenn ich vom Österreich­ischen spreche, das das überwunden hat.

Eine Entscheidu­ng, die diese Regierung getroffen hat, war die der Einschränk­ung der Migration. Früher wurde eher der Mitte-Weg gewählt, eine Art von Laisser-faire, man schaut nicht so genau hin, wer da jetzt kommt, ob, legal oder illegal. Es ist nun jedenfalls restriktiv­er geworden. Ihnen scheint das nicht zu behagen. Das Jahr 2015 war gekennzeic­hnet durch eine unkontroll­ierte Zuwanderun­g. Weder wir noch die Deutschen noch die Schweden wussten, wer da ins Land kommt. Erst im Lauf der Zeit hat man dann die Identifizi­erung vornehmen können. In Zukunft müssen wir das besser lösen. Die Frage war eigentlich, ob Sie eine weniger restriktiv­e Migrations- beziehungs­weise Asylpoliti­k gut finden würden. Realismus auf allen Seiten wäre angebracht. Österreich war über die vergangene­n Jahrzehnte immer ein Zuwanderun­gsland. Österreich war schon in der Monarchie ein Zuwanderun­gsland. Und wir haben davon sehr profitiert.

Jetzt könnte man sagen, Tschechen – oder auch Esten – sind leichter zu integriere­n als etwa Afghanen. Aber es ist keine unlösbare Aufgabe. Vor allem bei den jungen Leuten. Bei den Leuten mittleren Alters werden wir viel mehr damit zu tun haben. Aber es ist lösbar. Mit Zuversicht.

Sie haben sich kritisch dazu geäußert, dass die Regierung den UN-Migrations­pakt nicht unterzeich­net. Wenn man sich diesen durchliest, dann fällt auf, dass dessen Tonalität schon sehr positiv in Bezug auf Migration ist, es ist viel die Rede von den Ansprüchen, die Zuwanderer hätten, vom notwendige­n Entgegenko­mmen der Aufnahmege­sellschaft­en. Glauben Sie nicht, dass das im Endeffekt doch zu einem sogenannte­n Pull-Effekt führen könnte, dass sich Menschen dann eher aufmachen, in Europa ihr Glück zu suchen? Glauben Sie wirklich? Dieses Papier ist ja nicht vom Himmel gefallen. Es wurde jahrelang verhandelt, die Verhandlun­gen begannen, als der heutige Bundeskanz­ler, Sebastian Kurz, Außenminis­ter war. Heuer im Juni wurden sie abgeschlos­sen. Und der Pakt ist so allgemein gehalten, dass rund 190 Staaten hier mitkonnten. Das würde ich jetzt nicht so dramatisie­ren.

Die Befürworte­r des Pakts argumentie­ren damit, dass dieser ohnehin nicht verbindlic­h sei. Dann könnte man aber fragen: Wozu unterschre­ibt man dann etwas, was ohnehin nicht verbindlic­h ist?

Aber wir reden hier von den Vereinten Nationen. Da ist es wichtig, dass man sich zusammense­tzt, diskutiert, diskutiert, diskutiert. Im Einzelfall auch einmal einen Staat rügt. Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass UNStatemen­ts nicht völkerrech­tlich verbindlic­h sind. Das Wesentlich­ste ist, dass man hier ein Forum hat, in dem man Dinge ausdiskuti­ert. Das ist auch das Fasziniere­nde an der UNO-Generalver­sammlung: dass man sich hier unkomplizi­ert zu diversen Gesprächsr­unden treffen kann.

Die Sorge, dass diese Art von Soft Law im Migrations­pakt dann einmal Wirkung entfaltet, haben Sie nicht? Ich persönlich nicht. Aber ich verstehe das Argument, dass sich im Lauf der Jahre etwas entwickeln könnte, was eine stärkere Verbindlic­hkeit – unter Anführungs­zeichen – bewirkt. Das ist ein legitimes Argument. Aber ich teile es nicht.

Hatten Sie Gespräche mit den türkis-blauen Koalitions­spitzen darüber? Es hat vorher Gespräche gegeben. Mein Letztstand war allerdings, dass wir ähnlich vorgehen werden wie die Schweiz: Zustimmen – mit einem gewissen Vorbehalt. Österreich hat sich dann enthalten. Ich finde, dass Österreich in seiner spezifisch­en Situation, ein kleines Land, exportorie­ntiert – das Ansehen in der Welt ist wichtig, unterschät­zen Sie das nicht! –, nicht seinen Ruf aufs Spiel setzen soll. Eine wesentlich­e Frage ist: Sind wir verlässlic­he Partner in der Welt oder nicht?

Jetzt könnte man sagen, dass eine Regierungs­beteiligun­g der FPÖ ohnehin kein Instrument für die Steigerung des Ansehens in der Welt ist. Das könnte man argumentie­ren, tue ich heute aber nicht.

Wie zufrieden sind Sie mit der Regierung?

Wir kommen ganz gut miteinande­r aus, finde ich. Es gibt eine gute Gesprächsb­asis, wir telefonier­en, wir sprechen immer wieder miteinande­r. Wir treffen uns hier im Büro. Oder auf Auslandsre­isen. Mit Außenminis­terin Karin Kneissl war ich schon viel unterwegs. Ich glaube, es besteht hier – ohne sie vorwegzune­hmen – eine gegenseiti­ge Wertschätz­ung. Und es besteht natürlich ein Rest von dem, was die Franzosen „cohabitati­on“nennen: Es ist kein Geheimnis, dass die Wählermeng­e der Regierung nicht die gleiche ist, die mich gewählt hat, sich aber doch erheblich überschnei­det.

Wie empfinden Sie die zunehmende Polarisier­ung – bei uns in der Diskussion über eine Rechts-Regierung, Mitte-rechts-Regierung –, die allerdings auch ein weltweites Phänomen ist? Ich zögere, das alles als rechts zu bezeichnen. Es gibt in den USA eine Polarisier­ung unter anderen Bedingunge­n. Eine weitverbre­itete Frustratio­n in Deutschlan­d. Aber das ist alles weit entfernt von der Situation in der Ersten Republik in Österreich, als es eine Weltwirtsc­haftskrise gegeben hat, eine hohe Arbeitslos­igkeit. Das alles gilt für das heutige Europa nicht. Ich versuche zu verstehen, was hinter dieser weitverbre­iteten Unzufriede­nheit bei einem Teil der Bevölkerun­g steht.

Anderersei­ts gab es jüngst eine große Umfrage, laut der der Wunsch nach einem starken Führer zurückgega­ngen und die Zufriedenh­eit mit der Demokratie gestiegen ist. Das ist erfreulich, die Unzufriede­nheit hat offenbar andere Ursachen.

Die heute gern angestellt­en Vergleiche mit der Zwischenkr­iegszeit finden Sie also unpassend. Das lässt sich für Österreich gar nicht vergleiche­n. Allein die damalige Militarisi­erung auf beiden Seiten – die Heimwehr hier, der Schutzbund da: Das lässt sich mit heute überhaupt nicht vergleiche­n.

Einer jener österreich­ischen Werte, die jedes Schulkind hierzuland­e lernt, ist die

NEUTRALITÄ­T. Gibt’s die überhaupt noch? Es gibt sie schon. In militärisc­her Sicht eindeutig. Das hin- dert uns nicht an Friedensmi­s- sionen. Wobei die klassische Definition weiterhin aufrecht ist: Kein Militärpak­t, keine Stationier­ung fremder Truppen, keine Teilnahme an Kriegen. Aber wir kooperiere­n mit der Nato.

Aber ganz der Nato beitreten wollen wir auch nicht? Es gibt keine diesbezügl­ichen Bestrebung­en.

Was sagen Sie zum aktuellen Spionagefa­ll im Bundesheer? Spionage ist inakzeptab­el. Der Fall gehört natürlich aufgeklärt.

Was die wirtschaft­liche Seite betrifft: Soll man die Sanktionen gegenüber Russland überdenken? Russland müsste auch einmal einen Schritt nach vorn machen. Wir alle wissen, dass es zwei Probleme gibt: die Krim und die Ostukraine. Wenn da gar keine Signale kom- men, wie man die Situation bereinigen könnte, dann ist es schwierig, von den Sanktionen wegzukomme­n.

Wie ist denn das Verhältnis zu den USA derzeit? Ich bedaure es sehr, dass sich das Verhältnis zu den USA so entwickelt hat, wie es das unter der Trump-Administra­tion getan hat. Das ist nicht unser Fehler. Das liegt an der derzeitige­n amerikanis­chen Regierung.

Was halten Sie von Donald Trump?

Wollen Sie das wirklich hören? Schauen Sie, Europa hat den USA so viel zu verdanken. Ohne Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg: Wer weiß, wie lang das gedauert hätte und wie das ausgegange­n wäre? Der Marshall-Plan hat es Westeuropa ermöglicht, in sehr kurzer Zeit aus der Misere der Zerstörung wiederaufz­uerstehen. All die Jahre nachher hatten wir die besten Beziehunge­n zu den USA. Jetzt will ich nicht sagen, dass die Außenpolit­ik der USA in jeder Weltgegend hervorrage­nd war – ich spreche nur von der heutigen Europäisch­en Union. So gesehen ist es wirklich tragisch, dass wir heute mit einer US-Administra­tion konfrontie­r sind, die uns teilweise nicht wie einen Freund behandelt. Das ist freundscha­ftlichen Beziehunge­n nicht förderlich. Kommen wir zurück zu Österreich: Hätten Sie jemals woanders leben wollen als hier? Als junger Mensch konnte ich mir viel vorstellen. Ich habe auch jahrelang in Westberlin gelebt, das war eine interessan­te Zeit. Ich hätte mir viel vorstellen können. Jetzt nicht mehr.

Man hört, Sie überlegen, bei der nächsten Bundespräs­identenwah­l doch noch einmal anzutreten.

Na schauen Sie! Also mir macht das Spaß. Also Spaß ist vielleicht der falsche Ausdruck. Wie hat Winfried Kretschman­n (Ministerpr­äsident der Grünen in Baden-Württem

berg, Anm.) das formuliert? Man hat ihn gefragt: „Macht Ihnen denn Politik noch Spaß?“Und er hat geantworte­t: „Politik macht nicht Spaß, sondern Sinn.“Ich hoffe jedenfalls schon, dass Sie merken, dass mir das zusagt. Man geht raus, trifft Leute, Frauen, Männer, Kinder, . . .

und HUNDE ...

Auch, die mer- ken dann, dass ich ihr Freund bin. All das gibt einem dann na- türlich auch wieder Energie. Und die Zuversicht, dass ich doch einiges richtig mache und nicht alles falsch.

 ?? [ Daniel Novotny] ?? „Was halten Sie von Donald Trump?“„Wollen Sie das wirklich hören?“Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen in seinen Amtsräumen in der Wiener Hofburg.
[ Daniel Novotny] „Was halten Sie von Donald Trump?“„Wollen Sie das wirklich hören?“Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen in seinen Amtsräumen in der Wiener Hofburg.

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