Ende der Flitterwochen mit Moskau
Analyse. Die türkis-blaue Regierung buhlte geradezu um die Gunst Russlands. Und jetzt das. Doch auch nach dem Spionagefall will Österreich keine russischen Diplomaten ausweisen.
„Unangenehm überrascht“war Sergej Lawrow über das Bekanntwerden des Spionagefalls in Österreich. Der russische Außenminister meinte damit nicht die Spionagetätigkeit eines pensionierten Bundesheerkaders für Russlands Militärgeheimdienst GRU. Lawrows Reaktion war als Rüge für die österreichischen Behörden zu verstehen: Wien hätte den Fall nicht publik machen dürfen, so der Außenminister bei einer Pressekonferenz in Moskau.
Die österreichische Regierung bediene sich einer „Megafondiplomatie“, wie man sie im Westen häufig beobachten könne, erklärte Moskaus Chefdiplomat. Im Klartext: Die Österreicher hätten zuerst das vertrauliche Gespräch mit den Russen suchen müssen. „Wir werden beschuldigt, und es gibt Aufforderungen, dass wir uns für eine Sache entschuldigen, von der wir nichts wissen“, sagte Lawrow. Aufklärung erwartete man sich vom österreichischen Botschafter Johannes Eigner, der in das Außenministerium zitiert wurde. Zuvor war in Wien der Geschäftsträger der russischen Botschaft in das Außenamt einbestellt worden.
Der Spionagefall ist ein empfindlicher Knacks im bilateralen Verhältnis. „Sollten sich die Verdachtsmomente bestätigen, dann würde dies eine schwerwiegende Belastung der Beziehungen zwischen Österreich und Russland darstellen“, sagte Kneissl. Im Sommer noch hatte sie bei ihrer Hochzeit in den steirischen Weinbergen mit Russlands Präsident, Wladimir Putin, getanzt. Trotz der sich verdüsternden politischen Großwetterlage hatte Wien versucht, den traditionell guten Draht zu Moskau auszubauen. Drei Mal traf Kanzler Sebastian Kurz heuer bereits Putin. Seine türkis-blaue Regierung warb richtiggehend um die Gunst Moskaus.
In der Ukraine-Krise verwies man formelhaft auf die Notwendigkeit des Dialogs mit Russland. Wien ist innerhalb der EU als Skeptiker in der Sanktionsfrage bekannt. Ginge es nach Sebastian Kurz’ Koalitionspartner FPÖ, wären die Strafmaßnahmen längst Geschichte. An der Ausweisung russischer Diplomaten durch westliche Staaten als Antwort auf die Vergiftung des Ex-GRU-Agenten Sergej Skripal und seiner Tochter beteiligte sich Österreich nicht. Und auch im aktuellen Fall will die Bundesregierung nach Informationen der „Presse“keine russischen Diplomaten des Landes verweisen.
Nicht anders als andere westliche Staaten bekommt Wien nun die ruppige Reaktion zu spüren, wenn es um Russlands Geheimdienstoperationen im Ausland geht. Moskaus Verteidigungsstrategie ist simpel: Man streitet die Vorwürfe ab. Und setzt auf Gegenwehr. Moskau hält an dieser Strategie auch in jenen Fällen fest, in denen Indizien die Verwicklung des russischen Geheimdienstes nahelegen. Etwa im Fall Skripal: Hier haben britische Behörden und Investigativjournalisten die Identität der beiden mutmaßlichen GRU-Agenten aufgedeckt.
Zuletzt machten die Niederlande die Ausweisung von vier GRU-Mitarbeitern öffentlich. Sie sollen im April einen Hackerangriff auf die Chemiewaffenverbotsorganisation OPCW in Den Haag durchgeführt haben. Sie beschäftigte sich mit der Causa Skripal. Als nächste Station hatten die Männer das Schweizer Labor Spiez im Visier, das ebenfalls an der Giftuntersuchung beteiligt war.
Doch Moskau weigert sich standhaft, diese Vorfälle zu kommentieren. Stattdessen beklagt man sich, von den Behörden keine Informationen erhalten zu haben. Was Sergej Lawrow auch im österreichischen Fall moniert hat.
Auch andere Reaktionen russischer Politiker deuten darauf hin, dass man die Verantwortung für die Causa – zumindest öffentlich – von sich schiebt. Der Vorsitzende des Komitees für Auslandsbeziehungen der Staatsduma, Leonid Slutzkij, interpretierte den Spionageskandal als Versuch der USA, die Beziehungen zwischen Österreich und Russland zu stören. Die Absage des für Anfang Dezember geplanten Besuchs der österreichischen Außenministerin bedeute keine Verschlechterung des Verhältnisses. Kneissl stehe unter „beispiellosem Druck“, so Slutzkij, der davon ausgegangen ist, dass die Visite später nachgeholt wird. Franz Klinzewitsch, Senator und Mitglied des Verteidigungsausschusses im Föderationsrat, sah „Desinformation“am Werk. Andererseits: „Alle zivilisierten Staaten führen Aufklärungsarbeit durch.“
Und die Folgen? Die Regierung in Wien wird sich in Zukunft schwerer tun, das Verhältnis zu Russland als vollkommen ungetrübt darzustellen. Und sie muss sich die Frage stellen: Wäre es nicht womöglich zielführender, strittige Themen klarer zu kommunizieren? Die ersten Reaktionen aus Moskau zur Agenten-Enttarnung zeigen jedenfalls, dass Russland selbst guten Freunden keinen Rabatt gibt, wenn ein Bereich berührt ist: die äußerst weitläufig definierten nationalen Interessen.