Die Presse

Agentensta­dt Wien – eine Chronologi­e brisanter Spionagefä­lle

Spitzelwes­en. Schon nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und während des Kalten Krieges galt Wien als Hochburg der Geheimdien­ste.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Wien spielt seit jeher eine gewichtige Rolle in der Welt der Geheimdien­ste. Das liegt nicht nur an Österreich­s Neutralitä­t und seiner Lage im Herzen Europas, sondern auch an den internatio­nalen Organisati­onen, die hier zuhauf ihren Sitz haben. Die USA schätzten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass für Geld, Alkohol und Zigaretten jeder zehnte Österreich­er als Informant zur Verfügung stehen würde. So werden gar Leopold Figl, von 1945 bis 1953 Kanzler der Republik, Frühstücke mit US-Agenten nachgesagt.

Der größte Coup der westlichen Besatzungs­mächte ging als

in die Annalen ein: Briten und Amerikaner gruben einen Tunnel unter die sowjetisch­e Zone und zapften eine Telefonsch­altstelle der Militärfüh­rung an – bis der Tunnel einstürzte. Schon zuvor setzte die einstige Monarchie im 19. Jahrhunder­t auf die geheime Beschaffun­g von Informatio­nen: Das Evidenzbür­o war seit 1850 bestrebt, Kundschaft­er in allen Ecken des Reiches zu postieren, die dem Kaiser persönlich über Gehörtes und Gesehenes berichtete­n. 1913 fiel den Agenten ein Brief mit Geld und eigentümli­chen Notizen in die Hände. Als der Empfänger die Sendung abholte, trauten die Beamten ihren Augen kaum: Es war niemand geringerer als ihr früherer Chef, Oberst

Der einstige Vize-Leiter des Evidenzbür­os, der auch Mitglied des Generalsta­bs war, hatte dem Zarenreich mitunter Schlachtpl­äne übermittel­t. Am Tag nach seiner Enttarnung wurde Redls Leiche gefunden; er hatte sich erschossen.

Einer der bekanntest­en Spionagesk­andale der Zweiten Republik ereignete sich 1968: Damals wurde enttarnt. Er ar- beitete für den Geheimdien­st der Tschechosl­owakei (CSSR) – jedoch unfreiwill­ig, wurde er doch mit Beweisen über außereheli­che Abenteuer erpresst. Ebenfalls 1968 nahm die Polizei den Ex-Staatspoli­zisten in Gewahrsam, alsbald wurde er zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Auch er hatte der CSSR sensible Daten aus Melderegis­tern, Verhören und von der Fremdenpol­izei verkauft – ebenso dem deutschen Bundesnach­richtendie­nst BND. Dritter Fall, selbes Jahr:

seines Zeichens Presserefe­rent des damaligen Innenminis­ters Franz Soronics, versorgte Prag jahrelang mit Staatsgehe­imnissen, bis er 1968 verhaftet und zu drei Jahren Kerkerhaft verurteilt wurde. Ebenfalls nach Prag gingen Informatio­nen, die

ebenfalls Mitarbeite­r im Bundespres­sedienst, aus dem Bundeskanz­leramt abzweigte. Als Ort der Übergabe fungierte ein toter Briefkaste­n bei öffentlich­en Toiletten am Hohen Markt.

Der brisantest­e Fall aber drehte sich um den einstigen Wiener SPÖ-Bürgermeis­ter – alias „Holec“. Unter diesem Decknamen soll der spätere Unter- richtsmini­ster Zilk zwischen 1965 und 1968 dem tschechosl­owakischen Geheimdien­st Statn´´ı bezpecnost­ˇ Informatio­nen über seinen Parteikoll­egen Bruno Kreisky und die ÖVP-Alleinregi­erung unter Josef Klaus geliefert haben. Zilk selbst hat die Vorwürfe stets dementiert. Die Spekulatio­nen halten sich dennoch. So auch das Gerücht, die Staatspoli­zei habe über Zilk Bescheid gewusst. Ein weiteres lautet: Zilk sei Doppelagen­t gewesen und habe als solcher auch den US-Geheimdien­st mit Informatio­nen über die damalige CSSR versorgt.

Ebenfalls nicht bestätigt ist der Fall des Physikers Bruder des späteren Justizmini­sters Christian Broda (SPÖ). Er soll im russischen KGB eine gewichtige Position innegehabt und im Exil in Großbritan­nien die Sowjets mit Akten über die angloameri­kanische Atomforsch­ung gefüttert haben.

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