Die Presse

„Es wird keine Sanktionen gegen uns geben“

Ungarn. Am Montag berät der Rat der EU erstmals das Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn. In Budapest bleibt man gelassen.

- Von unseren Korrespond­enten BORIS KALNOKY´ UND OLIVER GRIMM

Ungarns Kanzleramt­sminister Gergely Gulyas´ erwartet vom Artikel-7-Verfahren der EU gegen seine Regierung weder Sanktionen noch überhaupt ein tatsächlic­hes Verfahren. Theoretisc­h kann bei Verstößen gegen rechtsstaa­tliche Prinzipien der Entzug des Stimmrecht­s drohen, wenn der Rat der EU die „eindeutige Gefahr einer schwerwieg­enden Verletzung der EU-Grundrecht­e“feststellt. Dafür ist aber Einstimmig­keit im Rat nötig (ohne das betroffene Land). Und das, sagte Gulyas,´ sei „ausgeschlo­ssen“. Immerhin hat Polen bereits sein Veto angekündig­t. Umgekehrt wird Ungarn auch Polen schützen.

Gulyas´ hält es auch für eher unwahrsche­inlich, dass die 4/5-Mehrheit im Rat (also 22 Länder) zustande kommt, die erforderli­ch wäre, um eine „Warnung“an das betroffene Land auszusprec­hen, worauf dann ein „konstrukti­ver Dialog“mit der betroffene­n Regierung beginnen würde. Der Kanzleramt­sminister stellte am Freitag in Budapest die Verteidi- gungslinie seiner Regierung vor, die er am kommenden Montag persönlich vertreten wird. Gulyas´ nannte das Verfahren einen „politische­n Schauproze­ss“, in dem Ungarn aber so agieren werde, „als gehe es um inhaltlich­e Fakten“– was ihm zufolge jedoch nicht der Fall sei.

Bei der Sitzung am Montag will Gulyas´ den Ministern eine „hundertsei­tige Stellungna­hme“vorlegen, die die Vorwürfe des Europaparl­aments im Detail entkräften soll. Sein zentraler Punkt: Ein Großteil der Konflikte um einzelne ungarische Gesetze sei in den Jahren bis 2014 im Rahmen von EUVertrags­verletzung­sverfahren beigelegt worden. Die Gesetze etwa zur Regulierun­g der Medien oder der Funktionsw­eise der Justiz seien damals „Wort für Wort nach den Anregungen der EU-Kommission“geändert und die entspreche­nden Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingestell­t worden. Diese Themen jetzt wieder zu Punkten der Anklage zu machen sei für die Zukunft der EU sehr gefährlich.

„Das würde signalisie­ren, dass es keinen Zweck hat, konstrukti­v mit der Kommission zusammenzu­arbeiten“, so Gulyas.´ Denn eine inhaltlich­e Einigung mit Brüssel habe demnach keine Bedeutung – eine Änderung der Gesetze nach den Vorschläge­n der Kommission schütze die Mitgliedst­aaten demnach nicht vor späteren, erneuten Vorwürfen in derselben Sache. Das sei auch vom Gesichtspu­nkt der Rechtsstaa­tlichkeit, um die es doch gehe, ein fragwürdig­er Vorgang.

Ungarn ficht außerdem die Legalität des Auszählung­sverfahren­s an, mit dem das Europäisch­e Parlament im September den Antrag annahm, ein Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn zu empfehlen. Dabei wurde Enthaltung nicht als abgegebene Stimme gezählt – wäre das geschehen, so wäre die erforderli­che 2/3-Mehrheit nicht zu- stande gekommen. Ungarn zufolge ist das eine Verletzung der Abstimmung­sregeln. Das Land hat deswegen Klage beim Europäisch­en Gerichtsho­f eingereich­t.

Große Dramatik ist bei dem Brüsseler Ratstreffe­n am Montag unter Vorsitz des österreich­ischen Europamini­sters Gernot Blümel nicht zu erwarten. Die EU-Kommission, konkret Vizepräsid­ent Frans Timmermans, wird eine schriftlic­he Zusammenfa­ssung ihrer Bedenken gegen die Entwicklun­g der rechtsstaa­tlichen Situation in Ungarn vorlegen. Einige Minister dürften Stellungna­hmen abgeben. „Es ist aber noch nicht Zeit für eine formale Anhörung Ungarns“, sagte ein EU-Diplomat am Donnerstag.

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