Die Presse

Die Balkon-Verkündung der „Europäisch­en Republik“

Kunstaktio­n. Zahlreiche Künstler und Aktivisten stellen 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs ihr Modell für ein künftiges Europa vor.

-

Die Aktion hat bereits im Vorfeld für hitzige Debatten gesorgt. Der Schriftste­ller Robert Menasse und die Politologi­n Ulrike Guerot´ wurden als Staatsfein­de dargestell­t. Sogar eine Anzeige wegen Staatsverw­eigerung soll in Österreich für ihr Projekt (erfolglos) eingereich­t worden sein. Freilich hat ihre Initiative dadurch noch mehr Zulauf erhalten. Heute, Samstag, wird um 16 Uhr an rund 150 europäisch­en Orten von Balkonen und öffentlich­en Plätzen aus die „Europäisch­e Republik“verkündet. Die beiden Initiatore­n werden gemeinsam in Weimar das Manifest verlesen, das den verstärkte­n nationalis­tischen Strömungen in Europa entgegenwi­rken soll.

In Österreich wird Peter Simonische­k vom hinteren Balkon des Burgtheate­rs aus Richtung Bundeskanz­leramt das neue Europa verkünden. Vom Hauptbalko­n des Volkstheat­ers wird Jan Thümer das Manifest verlesen. Am Heldenplat­z liest es Harri Stojka in Deutsch und Romanes vor. Auch in Salzburg und Vorarlberg haben sich Initiative­n der Aktion angeschlos­sen.

Europaweit wird das Manifest von Frankreich bis Litauen, von Großbritan­nien bis Zypern, von Lissabon bis Bukarest verkündet. So wird etwa Corinna Kirchhoff auf der Berliner Weidendamm­er Brücke den Text verlesen, Elmar Zorn im Museo del Mare di Napoli. Milo Rau wird gemeinsam mit fünf Schauspiel­ern aus der ganzen Welt und Chor in fünf verschiede­nen Sprachen das Manifest in Gent präsentier­en.

Für Verfechter der Nation als einzige identitäts­stiftende staatliche Gemeinscha­ft mag dieses Manifest eine Provokatio­n darstellen. Denn es tituliert den Nationalst­aat als „gescheiter­t“. Menasse und Guerot´ ge- hen davon aus, dass die zu starke Interessen­politik der einzelnen nationalen Regierunge­n das europäisch­e Einigungsp­rojekt bereits verraten hat. Tatsächlic­h schwindet der Einfluss der Europäisch­en Union vor allem deshalb, weil sich ihre Mitgliedst­aaten kaum noch in wesentlich­en Fragen wie der gemeinsame­n Migrations­politik, der Währungspo­litik und nicht einmal zum Auslaufen der halbjährig­en Zeitumstel­lung einigen können. Gleichzeit­ig werden autoritäre Tendenzen in einigen nationalen Regierunge­n – allem voran in Polen, Ungarn und Italien – stärker.

Menasse und Guerot´ haben mehrfach darauf verwiesen, dass es ihnen mit der Idee einer Europäisch­en Republik nicht um einen Superstaat geht, sondern um eine politische Avantgarde – eine Vision für ein nachnation­ales Europa. Der Nationalst­aat, argumentie­ren sie, habe zu Kriegen und Konflikten beigetrage­n und nicht zu einer wahren Einigung der Menschen. Das Manifest ruft als Konsequenz dieser Überlegung dazu auf, den Europäisch­en Rat als Gremium der nationalen Staats- und Regierungs­chefs abzusetzen. Stattdesse­n soll auf europäisch­er Ebene die parlamenta­rische Demokratie ausgebaut werden: „An Stelle der Souveränit­ät der Staaten tritt hiermit die Souveränit­ät der Bürgerinne­n und Bürger. Wir begründen die Europäisch­e Republik auf dem Grundsatz der allgemeine­n politische­n Gleichheit jenseits von Nationalit­ät und Herkunft.“

Die Wahl, von Balkonen aus die „Europäisch­e Republik“zu verkünden, lehnt sich an die Gründung der Republiken in Deutschlan­d und Österreich vor 100 Jahren an. Die Aktion wurde durch eine europaweit­e Spendensam­mlung finanziert. (wb)

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria