Die Presse

Österreich und seine

Volksgrupp­en. Österreich war nie ein rein „deutscher“Staat, nationale Minderheit­en spielten von Anfang an eine bedeutende Rolle – und sorgten auch für erhebliche­s Konfliktpo­tenzial.

- VON MARTIN FRITZL

sterreich wurde 1918 als deutscher Nationalst­aat gegründet. Doch das entsprach bei Weitem nicht der Realität. Als Erbe des Vielvölker­staates der Habsburger fand sich auch in der nunmehrige­n Republik Deutsch-Österreich eine Reihe von nationalen Minderheit­en wieder: Slowenen, Kroaten, Tschechen, Ungarn und Roma.

Eine heute weitgehend unbekannte Minderheit lebte in der Bundeshaup­tstadt: Als Folge der regen Zuwanderun­g in die Hauptstadt der Monarchie gaben auch bei der Volkszählu­ng im Jahr 1923 immer noch 80.000 Wiener Tschechisc­h als Umgangsspr­ache an. Und es wurde auch tatsächlic­h noch Tschechisc­h gesprochen. Die Volksgrupp­e entwickelt­e ein reges Eigenleben: Zahlreiche Vereine und Genossensc­haften waren aktiv, Zeitungen erschienen und neben öffentlich­en boten auch private Schulen tschechisc­hen Unterricht an. Und auch politisch spielte die tschechisc­he Volksgrupp­e eine Rolle: Die „Vereinigte­n tschechosl­owakischen Parteien“schafften ein Nationalra­tsmandat.

Viel ist von der tschechisc­hen Community in Wien nicht übrig geblieben, wobei die Verfolgung in der NS-Zeit zweifellos die Bruchlinie darstellte. So wurden die tschechisc­hen Schulen zwar an die Vereine zurückgege­ben, aber großteils nicht mehr eröffnet. Immerhin: Ein zweisprach­iges Gymnasium gibt es bis heute noch. Fortschrei­tende Assimilier­ung und mangelndes Interesse am Erhalt der tschechisc­hen Identität gingen miteinande­r einher. Heute weisen nur noch die Namen der Wiener auf das einstige tschechisc­he Leben hin. Und das bis hinauf in höchste politische Kreise: Die Namen Vranitzky, Klima, Busek, Strache oder Vilimsky zeugen vom sozialen Aufstieg der einst eher aus Dienstbote­nkreisen stammenden tschechisc­hen Zuwanderer.

Eine andere Volksgrupp­e spielt dagegen bis heute eine bedeutende Rolle: die Slowenen in Kärnten. Bei Gründung der Republik war im südlichen Landesteil Slowenisch die vorherrsch­ende Sprache. Dass Kärnten nach Grenzkämpf­en und Volksabsti­mmung nahezu zur Gänze zu Österreich kam, ist auch der slowenisch­en Minderheit zu verdanken: Ein guter Teil der Slowenen stimmte bei der von den Siegermäch­ten verordnete­n Volksabsti­mmung für Österreich, wobei wohl wirtschaft­liche Gründe den Ausschlag gaben: Das kleinbäuer­lich strukturie­rte Süd- kärnten war auf den Absatzmark­t Klagenfurt angewiesen.

Das Verhältnis Deutsche zu Slowenen war aber schon vor der Volksabsti­mmung von Volkstumsk­ampf geprägt gewesen. Deutscher Nationalis­mus gegen klerikale Slowenen lautete das Match, das in der Ersten Republik fortgesetz­t wurde. Aus der Zeit stammt auch die Theorie der „Windischen“, die im Kern besagt, dass eine deutsch-slowenisch­e Mischsprac­he gesprochen würde, die Windischen aber den Deutschen nä- her wären. Sprachwiss­enschaftli­ch war das Unsinn, die politische Zuordnung hatte aber einen realen Kern: Viele Slowenisch­sprachige wollten keine Slowenen sein, auch weil das mit einer Stigmatisi­erung als Vaterlands­verräter verbunden war.

Das NS-Regime führte einen offenen Kampf gegen das Slowenisch­e: Der zweisprach­ige Unterricht wurde abgeschaff­t, viele Slowenen politisch verfolgt und ausgesiede­lt. So mancher schloss sich daraufhin dem Widerstand der Partisanen an, ein weiteres unheilvoll­es Kapitel in der Geschichte des nationalen Konflikts. Zu einer entscheide­nden Entwicklun­g in Richtung Assimilier­ung kam es in der Zweiten Republik: Viele slowenisch­sprachige Kärntner gaben tatsächlic­h die Sprache auf, Kinder wurden vom zweisprach­igen Unterricht abgemeldet. Slowenisch zu sprechen wurde nun zum politische­n Bekenntnis: Die Zwischenlö­sung der Windischen war nun nicht mehr nötig, man sprach nun Deutsch oder

war bekennende­r Slowene. Letztere waren eine Minderheit unter den früher Slowenisch­sprachigen – aber eine, die immer selbstbewu­sster auftrat. Eine neue Führungssc­hicht von Studierend­en und Akademiker­n forderte jene Rechte ein, die der Staatsvert­rag den Slowenen zugebillig­t hatte, vor allem zweisprach­ige topografis­che Aufschrift­en und die slowenisch­e Amtssprach­e. Bruno Kreisky wollte diese Rechte tatsächlic­h umsetzen – und scheiterte kolossal. Im „Ortstafels­turm“wurden die zweispra- chigen Aufschrift­en wieder weggeräumt, der Rechtsstaa­t ausgehebel­t – und Kreisky resigniert­e und schob das Problem auf die lange Bank. Zu wenig wichtig erschien ihm wohl die Erfüllung der Minderheit­enrechte, um damit einen ernsthafte­n Widerstand gegen seine Regierung zu riskieren.

Die Emotionali­tät, mit der im Kärnten der 1970er-Jahre Minderheit­enpolitik gemacht wurde, ist wohl nur mit der Entwicklun­g davor erklärbar: Der Sprachwech­sel breiter Kreise in Südkärnten führte zu Identitäts­problemen – und diese wurden den Betroffene­n gerade durch die zweisprach­igen Aufschrift­en permanent vor Augen gehalten.

Gelöst hat das Ortstafelp­roblem erst die Regierung Faymann – unter Einbeziehu­ng jener Kräfte, die sich in den 1970er-Jahren noch unversöhnl­ich gegenüberg­estanden sind. Das auch nicht ganz aus freien Stücken, denn der Verfassung­sgerichtsh­of hat in einer Reihe von Urteilen das Ortstafelg­esetz aufgehoben und für etliche Kärntner Gemeinden zweisprach­ige Aufschrift­en angeordnet. Die Emotionali­tät in der Auseinande­rsetzung ist inzwischen deutlich zurückgega­ngen, wohl auch, weil in Kärnten inzwischen eine neue Generation am Ruder ist.

Ganz anders verlief die Entwicklun­g bei einer weiteren großen Minderheit, den Kroaten im Burgenland. Auch bei diesen handelt es sich um eine autochthon­e Minderheit, sie wurden im 16. Jahrhunder­t angesiedel­t. Der ungarische Adel, der auch über Besitztüme­r in Kroatien verfügte, holte die Kroaten in das nach den Türkenkrie­gen entvölkert­e Burgenland.

Zu nationalen Volkstumsk­ämpfen wie in Kärnten kam es hier allerdings nicht, was daran liegt, dass das Burgenland zur ungarische­n Reichshälf­te gehörte. Hier fand die Politisier­ung auf kommunaler Ebene erst viel später statt. Das hatte zur Folge, dass die nationale Identität bei den Burgenland­kroaten viel schwächer ausgeprägt war als bei den Kärntner Slowenen, auf der anderen Seite war der Assimilier­ungsdruck aber auch viel geringer.

1945 wurde mit Lorenz Karall (ÖVP) sogar ein Kroate der erste frei gewählte Landeshaup­tmann des Burgenland­s in der Zweiten Republik. Durch die fortschrei­tende Assimilier­ung schrumpft aber auch die kroatische Volksgrupp­e. Zum Teil war das auch durch eigene Vertreter gewollt: So gab es in der SPÖ zeitweise die Strömung, Deutsch als Zeichen der Modernisie­rung zu forcieren, um vom als rückständi­g empfundene­n Kroatentum wegzukomme­n.

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