Die Presse

Ohne Mörtel

Österreich­s seit der Ära Kreisky selbst entwickelt­es Bild als begnadeter Vermittler wird mit zunehmende­r politische­r Polarisier­ung immer fragwürdig­er.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Offizielle­s Programm der Bundesregi­erung für den sechsmonat­igen Ratsvorsit­z Österreich­s, Seite 7: „Mit seinem Ratsvorsit­z wird Österreich bestrebt sein, als ein im Zentrum der EU gelegenes Land und gemäß seiner traditione­llen Rolle als Brückenbau­er und im Sinne seiner Neutralitä­tsverpflic­htung zur Einheit in der EU beizutrage­n.“

Die traditione­lle Rolle als Brückenbau­er: Woher rührt dieses Selbstvers­tändnis? Besonders lang reicht – sofern sie überhaupt existiert – diese Tradition nicht in die Geschichte der Republik zurück. Dem schillernd­en Staatsmann Bruno Kreisky glückte es in den Siebzigerj­ahren, die geschickte Annäherung an die blockfreie­n Staaten in den Nimbus Wiens als ruhige Bucht in den Stürmen des Kalten Kriegs umzumünzen, UNOSitz inklusive. Doch baute Kreisky tatsächlic­h bedeutsame Brücken der internatio­nalen Politik? Half er, Gegensätze aufzuheben, das Gemeinsame vor das Trennende zu rücken, ideologisc­he Klüfte zu überwinden?

Doch hier es soll es nicht ums Gestern, sondern um das Heute gehen. Das Mantra vom europäisch­en Brückenbau­er ist gewisserma­ßen zum Basso continuo der öffentlich­en Stellungna­hmen gewor- den, mit denen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sein Denken und Handeln in europapoli­tischen Fragen darlegt. Nachdem der Ratsvorsit­z, den der Kanzler auch und vor allem dazu nutzen will, seine Jugendlich­keit mit der Aura eines reifen Staatsmann­s zu bemänteln, schon in sieben Wochen zu Ende sein wird, sei eine Zwischenbi­lanz gestattet. Hat Österreich Brücken gebaut, wie es sich das zur Aufgabe gemacht hat? Leider nein. Es ist Kurz nicht geglückt, jene sich mit jeder Woche tiefer auftuende weltanscha­uliche Kluft zu überwinden, die die Anhänger des liberalen, weltoffe- nen Europa von den Parteigäng­ern dessen trennt, was Viktor Orban,´ der ungarische Ministerpr­äsident, als „illiberale Demokratie“preist und was man nüchternen Auges als populistis­chen Autoritari­smus bezeichnen muss. Es hilft Kurz in seiner Vermittler­rolle gewiss nicht, dass sein Koalitions­partner, die FPÖ, in diesem Streit Partei ist. Und auch selbst tut Kurz seiner Ambition als Architekt europäisch­er Einheitsfi­ndung nichts Gutes, wenn er Grenzkontr­ollen zum Nachbarn Slowenien gutheißt oder, wie dieser Tage geschehen, den Kosovaren mitteilt, die ihnen versproche­ne Visa-Liberalisi­erung werde so schnell nicht kommen. (Ist, wie es auf Seite 13 des Vorsitzpro­grammes steht, „die Heranführu­ng der sechs Beitrittsw­erber Südosteuro­pas an die EU im Rahmen des Erweiterun­gsprozesse­s“nicht mehr „eine strategisc­he Investitio­n in Frieden, Demokratie, Prosperitä­t, Sicherheit und Stabilität in Europa“?) Der Blick von außen auf den Brückenbau­er Österreich jedenfalls offenbart Zweifel an der Bindefähig­keit des Wiener Mörtels. „Mir tun meine österreich­ischen Kollegen leid“, sagte eine EU-Diplomatin unlängst zur „Presse“. „Ich habe den Eindruck, sie verbringen ihre Zeit nicht damit, zwischen den Mitgliedst­aaten zu vermitteln, sondern zwischen den eigenen Ministerie­n in Wien.“

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