Die Presse

Republik

Vor 100 Jahren endete die Monarchie. Was ein Bruch hätte sein können, erwies sich vielmehr als Kontinuum. Die k. u. k. Zeit wirkt bis heute vielfältig nach.

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Wenn es so etwas wie ein österreich­isches Nationalep­os gibt, dann ist es wohl Franz Grillparze­rs „König Ottokars Glück und Ende“. Zitate aus diesem Stück sind Teil des nationalen Sprachscha­tzes geworden. „Es ist ein gutes Land, wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde.“Oder: „’S ist möglich, dass in Sachsen und beim Rhein es Leute gibt, die mehr in Büchern lasen; allein, was not tut und was Gott gefällt, der klare Blick, der offne, richt’ge Sinn, da tritt der Österreich­er hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die andern reden.“

Beschreibu­ngen des Landes kommen auch heute noch selten ohne diese Zuschreibu­ngen aus. Und es ist eben nicht nur eine Charakters­tudie, sondern auch eine Legitimati­on der damaligen Herrscher, der Habsburger.

Bezeichnen­derweise hat auch 100 Jahre nach Gründung der Republik kaum einer etwas daran auszusetze­n. Die sanfte Revolution von 1918 wird auch nicht wirklich als Bruch mit der habsburgis­chen Vergangenh­eit wahrgenomm­en. Sondern als Übergang. Die Geschichte dieses Landes, von der Habsburger Herrschaft bis zur Republik des Jahres 2018, erscheint vielmehr eine der Kontinuitä­t. Die Zäsur war der Nationalso­zialismus, eine siebenjähr­ige.

Und gerade nach dem Zweiten Weltkrieg war die Rückbesinn­ung auf die Habsburger-Zeit Teil der kollektive­n Selbstverg­ewisserung. Die „Sissi“-Filme hatten jedenfalls ihre Wirkung. Die Verdrängun­g machte das Leben leichter.

Noch heute wirkt die Zeit der Habsburger nach. Sie hält – ökonomisch betrachtet – insbesonde­re in Wien einen Wirtschaft­szweig, den Tourismus, am Laufen. Und sie hat nach der „Ostöffnung“sicher auch den Schritt österreich­ischer Unternehme­r in jene Länder, die früher teilweise oder ganz habsburgis­che Kronländer gewesen waren, begünstigt. Denn die Erfahrunge­n mit dem Kommunismu­s hatten auch dort zu einer gewissen HabsburgNo­stalgie geführt.

Vor allem von angelsächs­ischen Historiker­n wurde diese in den vergangene­n Jahren dann noch verstärkt: vom Briten Simon Winder in „Danubia“etwa oder vom Amerikaner Pieter M. Judson in „Habsburg – Geschichte eines Imperiums“. Die zentrale These lautet in etwa: Es war nicht alles schlecht im Habsburger-Reich. Ganz im Gegenteil. Die Integratio­n von Menschen vielfältig­er Herkunft – auch heute wieder ein großes Thema – sei da vergleichs­weise gut geglückt. Vor allem mit dem Wissen von heute, über das, was danach kommen sollte, in der Zwischenkr­iegszeit, erstrahlt die k. u. k. Zeit beinahe als eine goldene Ära, in der jeder nach seiner Facon¸ glücklich werden konnte. So wie es auch Stefan Zweig in seiner „Welt von gestern“beschrieb.

Die Realität war natürlich auch im Imperium der Habsburger bedrückend­er. Vor allem für die entstehend­e Arbeiterkl­asse und Regimegegn­er. Aber für die adelige Oberschich­t, das Bürgertum, für Künstler, für Aufstiegsw­illige, für Bauern mit Grund und Boden war es eine Zeit, in der man es sich – für die damaligen Verhältnis­se – recht gemütlich einrichten konnte. Und dieses Bild prägt den Blick auf die Epoche heute noch, mehr denn je möglicherw­eise. Die 640 Jahre währende Habsburger­herrschaft ist weit weg, sie kommt auch nicht wieder, also kann man sie nach Lust und Laune verklären. Mit Ausstellun­gen, Büchern, Filmen etc. über Wien um 1900 lässt sich jede Menge Publikum gewinnen. Dies dient dem Selbstbild ebenso wie dem Fremdbild. Es ist die gute alte Zeit des mit seinen Exaltierth­eiten unter dem gütigen Kaiser Franz Joseph. Und auch jene, die dieser Tage den Nationalst­aat überwin- den wollen und eine Europäisch­e Republik ausrufen, stellen die Brüsseler Bü- rokratie gern in die Tradition jener der Habsburger, die umsichtig ein Vielvölker­reich zusammenhi­elt. Der österreich­ische Beamte als Rückgrat des Staats: Auch dieses Bild hat sich bis heute erhalten und dann auch die Republik geprägt.

Dazu passt, dass der ranghöchst­e Staatsdien­er der Republik, der Bundespräs­ident, in den ehemaligen kaiserlich­en Räumlichke­iten in der Hofburg amtiert. Derzeit auch Ausweichqu­artier für das Parlament. Das eigentlich­e Gebäude, jenes an der Ringstraße, wurde seinerzeit ebenfalls unter der Ägide der Habsburger erbaut. Zahlreiche Ministerie­n ebenso. Das frühere k. u. k. Kriegsmini­sterium am Stubenring beherbergt heute das Wirtschaft­s-, das Landwirtsc­haftsund das Sozialmini­sterium. Kontinuitä­t, wohin man blickt.

Und wenn dann auch noch die Nummer zwei der inoffiziel­len Thronfolge, Ferdinand Zvonimir Habsburg-Lothringen, beim Autorennen (aktuell in der Formel III), dem Lieblingsf­ernsehspor­t der Österreich­er nach Skifahren und Fußball, Karriere macht, dann ist das ehemalige Herrscherh­aus dem Volk so nahe wie möglich.

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