Die Presse

Und das gedruckte Alltagsleb­en

53 Zeitungsau­sschnitte und was sie uns über den November 1918 erzählen.

- VON GÜNTHER HALLER

„Die Zeitung ist die Konserve der Zeit“, sagte einst Karl Kraus. Ein neues Buch liefert Details aus dem Leben der Österrei- cher weit weg von den großen staatstrag­enden Institutio­nen. Gezeigt wird, wie es sich in Zeitungsau­sschnitten aus dem „Allgemeine­n Tiroler Anzeiger“widerspieg­elt. 53 Artikel aus zwei Wochen des November 1918 werden präsentier­t und kommentier­t. Das Ergebnis: Eines der amüsantest­en und originells­ten Bücher in diesem Jubiläumsj­ahr. Die Meldungen, Kommentare und Inserate informiere­n darüber, was die Menschen wirklich bewegte.

Es ist ein Buch auch über das Menschlich­e und Allzumensc­hliche, auch das Tierische im Übrigen: „So wie früher jeder sein Huhn Sonntags im Topf hatte, so hat nun fast jeder Bauer sein Pferd in der Selche. So jammervoll endete so mancher der besten Kriegskame­raden des Soldaten.“Die Preise für Pferdeflei­sch waren im Keller, die stolz berittene Armee dahin.

Das, was ein am Vortag noch herrschend­er Habsburger zu seiner Abdankung zu sagen hatte, war der Zeitung am Tag der Ausrufung der Republik nur mehr eine unbedeuten­de Notiz wert. So schnell schrumpfte ein Imperium auf wenige Zentimeter Papier zusammen.

Die Bilder der 1914 zur Front ausfahrend­en Soldaten waren bekannte visuelle Stereotype, der „Anzeiger“berichtete aber auch, wie kläglich sich die Rückkehr auf den Dächern der Eisenbahnw­aggons 1918 vollzog. Viele erreichten den Zielbahnho­f nicht lebendig. Sie wurden in den Bahntunnel­s herunterge­mäht oder erstickten. Ivona Jelcic, Matthias Breit

Tyrolia Verlag 200 Seiten 19,95 €

Newspapers in German

Newspapers from Austria