Die Presse

Heimat bist du großer

Proporz. Das System der Aufteilung Österreich­s in die jeweiligen Einflussbe­reiche der Parteien war in der Anfangspha­se der Zweiten Republik sogar hilfreich. Doch bis heute gilt: Parteibuch schlägt Kompetenz.

- VON PHILIPP AICHINGER

Ich weiß von niemandem, welches Parteibuch er hat“, sagte Präsidents­chaftskand­idat Rudolf Hundstorfe­r im Jahr 2016 bei der Elefantenr­unde über die einstige Besetzung seiner Sektionsch­efs. Die Zuseher im Saal lachten lautstark über die Aussage des früheren SPÖ-Sozialmini­sters, die anderen Hofburgkan­didaten am Podium hauten sich regelrecht ab.

Man kann davon ausgehen, dass auch die wenigsten Bürger vor den TV-Geräten der Aussage glaubten. Zu absurd klingt für einen Österreich­er die Vorstellun­g, dass man hierzuland­e ohne Naheverhäl­tnis zu einer Partei etwas im Einflussbe­reich von Bund, Ländern oder Gemeinden wird.

Dabei sind die Postenvert­eilungen nach dem Proporzsys­tem vielen Leuten ein Dorn im Auge, wie auch Wahlergebn­isse zeigten. SPÖ und ÖVP verloren ab den 1980er-Jahren Stimmen, während die FPÖ auch mit dem Kampf gegen den rot-schwarzen Proporz groß wurde. Heute sitzt die FPÖ in der Bundesregi­erung und verteilt ebenso Posten an parteitreu­e Mitstreite­r, wie sie es einst bei RotSchwarz kritisiert hatte. Zu verlockend scheinen die Möglichkei­ten, die die Macht den Parteien bietet. Umfärben nennt man das dann in Österreich verniedlic­hend.

Dabei war nicht alles schlecht am Proporz, er entsprang einer hehren Absicht. Hatten Christlich­soziale und Sozialdemo­kraten sich in der Ersten Republik noch bis aufs Blut bekämpft, wollten sie in der Zweiten Republik zusammenar­beiten. Die Erfahrunge­n mit den Nazis, unter denen sich Rote und Schwarze gemeinsam im KZ wiederfand­en, schweißte zusammen. Alles im Land sollte nun zu Beginn der Zweiten Republik friedlich zwischen den beiden Großpartei­en – damals stimmte der Ausdruck noch – aufgeteilt werden: Ministerie­n, staatsnahe Betriebe und Direktione­n von Schulen, die als schwarz oder rot eingestuft wurden – zwei Parteien teilten das Land untereinan­der auf. Nur, wer „der Partei“nahe stand, kam zum Zug.

Aber auch der einfache Bürger konnte vom Parteibuch profitiere­n, sei es bei der Vergabe von Wohnungen, Kindergart­enplätzen oder Freizeitak­tivitäten. Von der Wiege bis zur Bahre war ein Leben im Schoß der einen oder der anderen Partei möglich. Einen ersten spürbaren Widerstand gegen den Proporz gab es im Jahr 1964, als 52 unabhängig­e Zei- tungen und Zeitschrif­ten zur Unterzeich­nung des ORF-Volksbegeh­rens aufriefen. Eine rotschwarz­e Abmachung sah vor, dass jede leitende Stelle in Funk und Fernsehen doppelt besetzt werden muss: roter Chef, schwarzer Stellvertr­eter – und umgekehrt.

Das Volksbegeh­ren war mit 832.000 Unterschri­ften für damalige Verhältnis­se ein großer Erfolg. Der ORF wurde reformiert und unabhängig­er. Doch bis heute ist er Spielball der Parteien geblieben.

Das gilt auch für andere Lebensbere­iche. Die besten Zeiten des Proporzes mögen vorbei sein, aber immer noch werden die wichtigen Posten im Land von den jeweils regierende­n Parteien untereinan­der aufgeteilt. Nicht, dass alle Parteigäng­er inkompeten­t wären. Aber im Zweifel schlägt das Parteibuch die Kompetenz.

Wenigstens können die Österreich­er – wie in der Elefantenr­unde bewiesen – noch darüber lachen.

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