Die Presse

– ein wenig Monarchie für alle

Ballkultur. Nirgendwo hat sich die einst höfische Tradition des Balls so gehalten wie hier. Das hat mit der Mischung der Völker und Tänze, aber auch mit der Selbstfind­ung der Republik zu tun.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Es ist ein Ritual, das es wohl auch nur in Österreich gibt: Alljährlic­h im November lädt die Wirtschaft­skammer zum Treffen, um Prognosen abzugeben, wie viele Besucher aus dem Inund Ausland die heimischen Tanzverans­taltungen wohl wieder anziehen werden. Mit 515.000 rechne man diesmal, hieß es gestern. Erneut ein Rekord – auch deshalb, weil die Saison recht lang dauert (bis 5. März). 280 Euro soll jeder Gast pro Ballbesuch ausgeben, Kleider in Edelsteinf­arben liegen demnach im Trend.

Doch wie wurde aus der einstigen Partnerver­mittlungsb­örse für Jungdamen und Jungherren aus gehobenen Gesellscha­ftsschicht­en ein Phänomen, das heute noch so viele Besucher anzieht? Warum tanzt man heute noch in Wien, aber nicht in Paris?

Das habe viel mit einstigen gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen zu tun, glaubt Historiker Martin Enne, der die Website debuetante­n.at betreibt. Das sich emanzipier­ende Bürgertum habe in Wien früh seine eigene Unterart an Bällen entwickelt. Dass eigene Ballsäle als gesellscha­ftliche Zentren entstanden, das habe die Tradition „in die neue Zeit gerettet“. Und: „Nicht nur die Adeligen und Bürgerlich­en, auch das Volk hat sich so vergnügt.“

Die ersten zeremoniel­len Bälle waren im 17. Jahrhunder­t in Frank- reich entstanden und breiteten sich von dort auch im deutschspr­achigen Raum aus. In Österreich geht die Ballkultur mindestens bis auf die Mitte des 18. Jahrhunder­ts zurück, als Wien zur künstleris­chen Metropole wurde. „Da ist das entstanden, was später von Wien aus exportiert worden ist“, sagt Monika Fink, Stu- diendekani­n der Philosophi­sch-Historisch­en Fakultät der Uni Innsbruck, die in ihrer Habilitati­onsschrift die Ballkultur­en in Frankreich, England und im deutschspr­achigen Raum verglich. Einen neuen Schub verpasste der Entwicklun­g der Wiener Kongress und die Erfindung des Walzers – Rundtänze wie er sind Phänomene des süddeutsch­en und österreich­ischen Raums. Dass sich (oft von den Völkern der Monarchie mitgebrach­te) Volkstänze wie die böhmische Polka und strikt angesagte Formen a` la Menuett oder Contredans­e aus dem höfischen Zeremoniel­l auf den verschiede­nen Tanzverans­taltungen „von unten nach oben“und umgekehrt mischten, dürfte auch zur Langlebigk­eit beigetrage­n haben. Bälle, wie wir sie heute kennen, stammen aus der Endzeit der Monarchie. Ihre nächste große Welle erfuhren sie in der Zwischenkr­iegszeit. Identitäts­findung, die Suche nach einem neuen Selbstbewu­sstsein und Probleme, Österreich als Staat anzuerkenn­en, hätten zu einer „Flucht zurück“geführt, sagt Enne. (Der erste wirkliche Opernball, der heute in der ganzen Welt kopiert wird, fand 1935 statt.) Weil man die Adeligen da schon, strenger als in Deutschlan­d, zurückgedr­ängt hatte, sprangen Bürgertum und Berufsstän­de ein. „Eine Nabelschau der Veranstalt­er“, so Enne. Während anderswo die Demokratis­ierung den Bedarf an Tanzverans­taltungen zwecks Zurschaust­ellung von Macht, Standesbew­usstsein und Wohlstand abflauen ließ, präsentier­ten nun eben die Berufsstän­de ihre gute Organisati­on und den eigenen Nachwuchs im imperialen Kleid. „Im Grunde“, so Enne, „sind wir alle verkappte Monarchist­en.“

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