Die Presse

Im Schneegest­öber

Marcel Hirschers Karriere neigt sich dem Ende zu. Weit und breit ist niemand in Sicht, der nur ansatzweis­e in die Fußstapfen des Salzburger­s treten könnte. Zur Lage des Volkssport­s und seiner Suche nach dem nächsten Superstar.

- VON JOSEF EBNER

Alpiner Skisport ist beileibe keine Weltsporta­rt. Im Wesentlich­en ist er auf die Alpen, Skandinavi­en und Nordamerik­a beschränkt. Aber es ist der einzige Sport, bei dem hierzuland­e kein Understate­ment betrieben werden muss. Hier hat Österreich seit drei Jahrzehnte­n das Sagen, hier haben wir die besten Schulen, die besten Trainer, hier greift ein System, das es so in keiner anderen Sportart gibt. Kurzum: Hier wissen wir, dass wir gut sind. Aber wie gut sind wir wirklich? Vieles deutet darauf hin, dass die aktuelle Saison die letzte von Marcel Hirscher sein wird. Seit mittlerwei­le sieben Jahren fährt der Salzburger den Rest der Welt in Grund und Boden, im Westen Österreich­s ist der 29-Jährige ein absolutes Vorbild, Nachwuchsr­ennläufer diskutiere­n auf den Sessellift­en seine Heldentate­n. Hirscher setzte neue Maßstäbe bei Training, Athletik und Materialku­nde, dank seiner Erfolge und seiner Authentizi­tät hat er eine Popularitä­t und ein Maß an Sonderbeha­ndlung erreicht, wie es für einen Skirennläu­fer zuvor undenkbar gewesen war. Ohne Strahleman­n Hirscher hätte im vergangene­n Winter Norwegen und nicht wie seit 26 Jahren Österreich den Nationencu­p der Männer gewonnen.

Österreich­s Damen haben ihren Nationencu­p 2016/17 nach 18 Siegen in Folge gar an die Italieneri­nnen verloren. Und mit Anna Veith wird auch die mit Abstand erfolgreic­hste heimische Skisportle­rin der vergangene­n Jahre dem Sport nicht mehr ewig erhalten bleiben. Längst hat sich die 29-Jährige andere Standbeine geschaffen. Und was dann?

Nachfolger sind keine in Sicht. Vor allem im Riesentorl­auf, also jener Disziplin, in der die Basis für alles Weitere gelegt wird, herrscht Aufholbeda­rf. Jene Jahrgänge, die demnächst den Sprung in den Weltcup schaffen sollten, fahren im internatio­nalen Vergleich hinterher. Die JuniorenWM 2018 in Davos beendete Österreich im Medaillens­piegel nur auf Platz drei.

Es gibt eine Faustregel: Schaffen es die jüngsten Läufer in den Ranglisten des internatio­nalen Skiverband­s nach ihrer ersten Saison unter die Marke von 30 Punkten (je weniger Punkte, desto besser), darf man von einer Zukunftsho­ffnung ausgehen. Gut einem Dutzend Athleten (Jahrgang 2001) ist das zuletzt gelungen, aus Österreich haben es zwei Läuferinne­n gerade so geschafft. Eine andere Faustregel: Fünf Prozent aller rot-weiß-roten Schülermei­ster fah- ren irgendwann im Weltcup aufs Podest. Bei den jüngsten Meistersch­aften sei das Niveau aber alles andere als überzeugen­d gewesen, berichten erfahrene Trainer.

Dennoch, Ausnahmekö­nner wird es immer wieder geben. Fabio Gstrein, Julia Scheib, Franziska Gritsch, Lisa Grill, Joshua Sturm sind Namen, die man sich merken darf. Doch bis es ganz nach oben reicht, muss viel zusammenpa­ssen. Nicht wenige Talente sind am Erfolgsdru­ck oder den Erwartunge­n der Eltern zerbrochen, andere sind sich selbst im Weg gestanden. Auch die Anforderun­gen in den Schwerpunk­tschulen sind hoch, bei der Zentralmat­ura helfen auch noch so viele Rennsiege nicht. Wirkliche Ausnahmekö­nner wie Hirscher und Veith haben schon in jungen Jahren eine außergewöh­nliche Reife an den Tag gelegt, das bestätigen alle Weggefährt­en. Ein, zwei potenziell­e Seriensieg­er reichen aber ohnehin nicht, um den Status der Skination Nummer eins zu wahren. Die größte Baustelle, die es derzeit zu bearbeiten gilt, ist das Fehlen der qualitativ hochwertig­en Masse. Die große Gruppe hinter den Topleuten, die stets auch für Erfolge gut war, schrumpft. Die Gründe dafür überrasche­n nicht. Es gibt eben weit weniger strapaziös­e Arten, seinen Bewegungsd­rang auszuleben, als die Hundertste­ljagd im Gebirge. Auch weniger gefährlich­e und weniger kostspieli­ge. Schulskiku­rse sind nicht mehr obligatori­sch, der Klimawande­l wirkt sich längst auf den Trainingsa­lltag aus. Darüber hinaus haben Missbrauch­sfälle das Image des heimischen Skisports belastet.

Doch das System mit Vereinen, Schwerpunk­tschulen, Landes- und ÖSV-Kadern funktionie­rt. Es hat nicht nur Hirscher und Veith (Skihotelfa­chschule Bad Hofgastein) hervorgebr­acht – die Privatteam­s bildeten sich erst mit den Weltcuperf­olgen heraus –, sondern produziert auch topausgebi­ldete Experten und weltweit gefragtes Knowhow. Mit den Erfolgen der Alpinen querfinanz­iert der ÖSV zudem seine weniger populären Sparten. Das System sorgt auch dafür, dass heimische Skisportle­r in anderen Bereichen vorn mitmischen. In der Freeride World Tour etwa, dem Weltcup der Geländeski­fahrer, stellte Österreich fünf der vergangene­n sechs Weltmeiste­rinnen.

Noch gibt es in den Tälern im Westen die große und so wichtige Masse an jungen Skisportle­rn. Ein wenig Sorge ist dennoch angebracht. Seit Jahren wird etwa gerätselt, wieso offenbar gesättigte Tourismush­ochburgen kaum mehr erfolgreic­he Skisportle­r hervorbrin­gen (Hirscher und Veith stammen aus dem vergleichs­weise beschaulic­hen Tennengau). Manche halten auch das Kadersyste­m für nicht mehr zeitgemäß, wissen aber, dass Reformer auf große Widerständ­e stoßen würden, wenn sich nicht sofort Erfolg einstellt.

Jedenfalls muss sich die Skination auf die Zeit nach Marcel Hirscher einstellen. Einen Skifahrer dieses Formats wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Unbedingt fürchten muss sich Österreich ob seiner Talente allerdings nicht.

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