Die Presse

Die zu Unrecht belächelte

Ausbildung. Wenn über Bildung gesprochen wird, geht es um das Gymnasium. Doch nirgendwo finden sozialer Aufstieg und Integratio­n öfter statt als in berufsbild­enden Schulen. Über den gesellscha­ftlichen Beitrag von HAK, HLW und Co.

- VON GERHARD HOFER

Natürlich komme ihm der Begriff immer wieder zu Ohren, erzählt Andreas Hübner. Der Direktor der Höheren Lehranstal­t für Tourismus in Wien Floridsdor­f kann über das Wort Knödelakad­emie nur noch milde lächeln. Mit einer „Haushaltss­chule“wie anno dazumal habe seine Schule schon lang nichts mehr zu tun. Auf der Homepage steht „Die neue Wassermann­gasse“, mehr nicht. Dass es hier in jeder Klasse WLAN gibt, ist selbstvers­tändlich. „Als ich hier angefangen habe, stand über dem Eingang noch „Höhere Bundeslehr­anstalt für wirtschaft­liche Frauenberu­fe“, erzählt Hübner.

Das hängt dem Schulzweig noch immer nach, obwohl sich die humanberuf­lichen Schulen allesamt modernisie­rt und spezialisi­ert haben. „Unser größtes Asset war von Anfang an die intensive Zusammenar­beit mit der Wirtschaft“, sagt Hübner. Wer hier in die Schule geht, arbeitet von der ersten Klasse an einmal in der Woche in einem Hotel. Während Politiker und Bildungsex­perten das skandinavi­sche Modell preisen, kommen Delegation­en aus Skandinavi­en in die Wassermann­gasse, um sich hier Tipps zu holen. Wenn alle Jahre zum Schulschlu­ss wieder diskutiert wird, dass die Sommerferi­en zu lang sind, absolviere­n seine Schülerinn­en und Schüler längst ihr Praktikum in einem Tourismusb­etrieb. Von wegen zu lange Ferien: „Der Tourismus würde im Sommer zusammenbr­echen, ohne die Tourismuss­chulen“, sagt Hübner.

Die meisten Schüler der Wassermann­gasse kommen aus der Umgebung, sprich Großfeldsi­edlung, Rennbahnwe­g. Die soziale Kluft unter den Schülern ist groß. Der Übergang von der Neuen Mittelschu­le (NMS) in sein Haus sei für viele nicht leicht. „Die Kulturtech­niken sind bei vielen verlo- ren gegangen“, erzählt der Direktor. Eine der ersten Übungen für Neueinstei­ger seien gutes Benehmen und angemessen­e Kleidung. In der Wassermann­gasse wird eine Schulkleid­ung getragen. „In einer berufsbild­enden Schule muss man anders gekleidet sein als etwa in einer AHS“, sagt Hübner mit ironischem Unterton.

Dass die HTL ihren Platz im Bildungssp­ektrum und die öffentlich­e Anerkennun­g hat, ist unbestritt­en. Stefan Wenka leitet die HTL Wien 10 in der Ettenreich­gasse. Über zu wenig Anmeldunge­n für das kommende Schuljahr muss er sich nicht sorgen. Und noch weniger Sorgen machen sich Absolvente­n seiner Schule, einen guten Job zu bekommen. Etwa die Hälfte seiner Schüler kommen aus dem Gymnasium. „Bei uns gibt es Jugendlich­e aus durchaus bildungsfe­rnen Schichten genauso wie High Potentials, die sich ihre Projektarb­eit patentiere­n lassen und später eine Firma gründen“, erzählt Wenka. Doch auch High Potentials kommen aus allen Schichten. Nur hier werden sie entdeckt. Immer öfter passiert es, dass Schüler über die dreijährig­e Fachschule den Weg über den Aufbaulehr­gang zur Matura schaffen. „Wir sehen uns als Aufsteiger­schule“, sagt Andrea Tuschl-Reisinger. Sie ist Direktorin des Internatio­nal Business College Hetzendorf (IBC) in Wien Meidling. In der Handelsaka­demie und Handelssch­ule gibt es bilinguale­n Unterricht. Der Großteil der Schüler kommt aus der NMS. Immer wieder werde sie von einer NMS eingeladen, um ihre Schule zu präsentier­en. Aus einem Gymnasium habe es noch keine Einladung gegeben. So kommt es, dass der Anteil der Kinder aus bildungsfe­rnen Schichten groß ist. Die meisten Eltern haben selbst keine Matura. Etwa die Hälfte der Maturanten sind die Ersten in der Familie, die es bis zur Reifeprüfu­ng schaffen. „Das sind die bewegendst­en Momente bei einer Maturafeie­r“, erzählt Tuschl-Reisinger. Diese Momente seien der Beweis, „dass es sich auszahlt“. Es zahle sich eben aus, so viel Zeit und Energie ins „Ankommen“zu investiere­n, statt in der ersten Klasse „auszusiebe­n“, sagt die Direktorin. Für viele NMS-Absolvente­n bedeute „Ankommen“zu lernen, dass eine Schule ein „großes zivilisato­risches Ganzes“ist, sagt die Pädagogin. Seit 20 Jahren werden die Erstklassl­er von Peer-Mediatoren in den Schulallta­g eingewiese­n. Ältere Schüler erklären ihnen also, wie man sich zu beneh- men hat, was Pünktlichk­eit bedeutet, dass man Hausübunge­n auch wirklich macht, dass man den Unterricht nicht verlässt, wenn es einem gerade einfällt. Alles Dinge also, die eigentlich jedem Kind spätestens in der Volksschul­e klar sein sollten. „Ende September haben das dann so ziemlich alle begriffen“, sagt Tuschl-Reisinger.

Viele Schüler in der IBC haben Migrations­hintergrun­d, manche Mädchen tragen Kopftuch. „Das ist so“, sagt die Direktorin. „Das sind großartige Mädchen. Wir sehen Vielfalt als Bereicheru­ng.“

Dass wirtschaft­liche Bildung in unserer Zeit immer wichtiger wird, sei mittlerwei­le vielen klar geworden. Die HAK vermittle aber nicht nur Rechnungsw­esen oder Kostenrech­nung. Hier werde soziale und unternehme­rische Verantwort­ung gelehrt. Die Schüler lernen, sich zu präsentier­en, haben also „ein Auftreten“, wenn sie hier durch sind. Tuschl-Reisinger erzählt von Absolvente­n, die heute Ärzte sind und von ihrer Ausbildung in der HAK immens profitiere­n.

Womöglich hat sich der gesellscha­ftliche Beitrag der berufsbild­enden Schulen doch herumgespr­ochen. Vergangene Woche wurde das Internatio­nal Business College Hetzendorf von Bildungsmi­nister Heinz Faßmann mit dem Staatsprei­s für Schule und Unterricht ausgezeich­net.

machen in Österreich die Matura. Den größten Anteil an Maturanten stellen mittlerwei­le die berufsbild­enden höheren Schulen (BHS). Beim Haupttermi­n 2018 traten 18.649 BHSSchüler und 17.058 AHS-Schüler an.

nimmt Jahr für Jahr zu. Laut einer Prognose der Statistik Austria werden im Jahr 2035 etwa 48.000 österreich­ische Schüler zur Matura antreten. 15 Prozent mehr als heute.

Newspapers in German

Newspapers from Austria