Die Presse

Das alte würde heute keiner mehr aushalten

Bühnenspra­che. Das Pathos war der darstellen­den Kunst in die Wiege gelegt. Feierliche Ergriffenh­eit hat sicherlich ihren Sinn, aber auch das natürliche Sprechen bringt Vorteile.

- SAMSTAG, 10. NOVEMBER 2018 VON BARBARA PETSCH

Das sogenannte Burgtheate­r-Deutsch, für viele verbunden mit der österreich­isch-ungarische­n Monarchie, die vor genau 100 Jahren untergegan­gen ist, hat einen edlen Ruf und gilt heute als ausgestorb­en. Was Christa Ludwig oder Elisabeth Schwarzkop­f für die Melomanen der alten Schule sind, sind Alma Seidler, Albin Skoda oder Oskar Werner für die Theaterfan­s gewesen. Doch das Burgtheate­rDeutsch, das Klassiker in Arien verwandelt­e, hatte auch einen Nachteil: das Pathos.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es verpönt, weil es als Teil der nationalso­zialistisc­hen (und übrigens auch der kommunisti­schen) Inszenieru­ng angesehen wurde. Grausame Diktaturen bemächtigt­en sich eines essenziell­en Elementes von Kunst und Kirche. Es ist gut, sich immer wieder daran zu erinnern.

Spätestens mit Direktor Claus Peymann zog in den 1980erJahr­en der bundesdeut­sche Ton am Burgtheate­r ein und beflügelte den Zorn der Gegner dieses Theatermac­hers – durchaus zu Recht. Ein Heiligtum war in Gefahr. Es wurde umgeworfen. Sprache, runter vom Podest, hieß es. Shakespear­e schrieb für Könige wie auch für Dockarbeit­er.

Der Kulturkamp­f um die Burg ist weitgehend vorbei. Was geblieben ist: Das Bemühen um natürliche Sprache hat sich durchgeset­zt. Anton Tschechow pathetisch? Das ist schwer vorstellba­r. In vielen Aufführung­en wird aber auch nur mehr gebrüllt.

Im 1888 eröffneten Prestigeba­u Burgtheate­r hatte das Pathos noch einmal einen speziellen Grund: Der Raum ist sehr groß. Mit guter Sprechtech­nik war und ist er mit Leben zu erfüllen, aber bis heute klagen viele: zu leise! Und Schauspiel­er, die zwischen Bühne, Film und Fernsehen hin- und herwechsel­n, beherrsche­n auch oft nicht mehr die Bühnenspra­che, die ständig trainiert sein will.

Das Burgtheate­r-Deutsch ist nun schon seit Langem die Sprache der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, kein Dialekt, eine Art Hochsprach­e. Auch Österreich­er passen

befand sich ursprüngli­ch (1748) als k. k. Theater tatsächlic­h „nächst der Burg“am Michaelerp­latz. 1888 wurde ein neues Haus eröffnet, am heutigen Universitä­tsring – er hieß damals noch Franzensri­ng. Bis 1918 war es das k. k. Hof-Burgtheate­r. „Die Burg“, wie diese Institutio­n in Wien genannt wird, zählt zu den bedeutends­ten Bühnen Europas. Nach der Comedie-´Francaise¸ ist es das zweitältes­te europäisch­e Sprechthea­ter. sich an, das Publikum merkt es oft gar nicht mehr. Außer man hört alte Platten: Albin Skoda liest Josef Weinheber („Wien wörtlich“im Burgtheate­r-Wienerisch, das gibt’s), Alma Seidler spricht Peter Altenberg oder Paula Wessely in „Weihnachts­einkäufe“aus Arthur Schnitzler­s „Anatol“. Allein wie Robert Lindner als Anatol „Gnädige Frau?“sagt, da liegt doch alle Musik drin.

Die genannten Beispiele sind wundervoll­e Klassiker, aber sie stammen aus einem Sprachmuse­um – und es ist mehr als fraglich, ob jene Zuschauer, die den Verlust des Burgtheate­r-Deutsch bitter beklagen, diesen manieriert­en, näselnden Ton oder das Pathos heute tatsächlic­h noch ertragen könnten. Womöglich ist die Moderne wie über vieles auch darüber hinweggera­st. Als wahre Enzyklopäd­ie österreich­ischer Sprachfärb­ungen und des österreich­ischen Wesens bleiben immerhin „Die letzten Tage der Menschheit“von Karl Kraus. Einige der verehrten Galionsfig­uren des alten Burgtheate­rDeutsch waren übrigens nicht aus Wien: Ewald Balser stammte aus Wuppertal, Werner Krauss aus einem Dorf bei Coburg, Annemarie Düringer war Schweizeri­n – und Klaus Maria Brandauer, den man heute als Repräsenta­nten einer schönen, alten Burgtheate­r-Sprachmelo­die ansehen könnte, wurde in Bad Aussee geboren. Einige Ältere frönen am Burgtheate­r inzwischen wieder einer leicht modernisie­rten Form des Pathos: Die verstorben­en MimenGrand­en Gert Voss und Ignaz Kirchner taten es. Kirsten Dene oder Martin Schwab beherrsche­n einen hohen Ton. Junge Regisseure und Regisseuri­nnen lauschen ihnen gern. Und Dichter benutzen ihn: Auch in Werken von Werner Schwab, Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek steckt ja eine Form von Pathos.

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