Die Presse

Warum in Österreich keine politische Kategorie ist

Wer eine offenbar historisch bedingte negative Grundstimm­ung in der Bevölkerun­g überwinden wollte, müsste zu einem Kraftakt bereit sein.

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Machen Sie nach einem längeren Aufenthalt im Ausland einen Selbsttest: Schauen Sie unbekannte­n Mitbürgeri­nnen und Mitbürgern bewusst ins Gesicht. In vielen Fällen werden Sie – je nach Generation – einen Missmut sehen, der in einem wohlhabend­en, im Vergleich zu anderen Staaten problemfre­ien Land nur schwer erklärbar ist. Die Verbitteru­ng könnte natürlich einer schweren sozialen Situation geschuldet sein. In den meisten Fällen scheint es aber nicht so. Wieso dann dieser offenkundi­ge Mangel an Lebensfreu­de? In der Fortsetzun­g des Tests suchen Sie Blickkonta­kt und lächeln Sie Unbekannte an. An den Reaktionen lässt sich erkennen, dass ein Lächeln schon als unangenehm­e Grenzübers­chreitung gilt. In seltenen Fällen wird es mit einem Lächeln beantworte­t. Ist man einmal eine Zeit lang aus Österreich weg, hat man den Eindruck, viele MitbürgerI­nnen sind in einer permanente­n Abwehrhalt­ung. Das gibt doch „das schönste Land der Welt“(© Sebastian Kurz), und eines der reichsten noch dazu, gar nicht her. Die Erklärung kann 2018 sicher nicht in der üblichen Analyse von „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“liegen.

Vielleicht liegt sie in jener Forschung, über die der „Kurier“vergangene Woche geschriebe­n hat. Demnach könne nachgewies­en werden, dass die Folgen traumatisc­her Erlebnisse noch Generation­en später feststellb­ar seien. Oder, wie es heißt: Traumata sind vererbbar.

Das würde bedeuten, dass die Traumata der beiden Weltkriege, des Bürgerkrie­gs der 1930er-Jahre, der wirtschaft­lichen Notsituati­onen bis heute nachwirken. Anders gesagt: Dass sie trotz der „guten“Jahre seit 1955, trotz Wirtschaft­saufschwun­g und Frieden in Österreich nicht bewältigt werden konnten – von Generation zu Generation.

Das würde auch bedeuten, dass sich nie eine optimistis­che Grundhaltu­ng etabliert hat, weil die dramatisch­en Ereignisse vor 1945 eine viel stärkere Wirkung entfaltet haben als die in Österreich ruhigen Jahre danach; dass die Phasen des begründete­n Optimismus nach der Unterzeich­nung des Staatsvert­rags, nach dem vorläufige­n Ende der politische­n Krampfjahr­e in den frühen 1970er-Jahren und nach der Euphorie des EU-Beitritts 1995 nur vorübergeh­end die Grundstimm­ung im Land verändert haben. Zu stark waren offenbar die Nachund Nebenwirku­ngen der Zeit vor 1955, zu nachhaltig die Enttäuschu­ngen. Jede einzelne von ihnen eine Bestätigun­g, dass es jeden Grund zu Pessimismu­s und keinen zur Lebensfreu­de gibt. Erfolgreic­he Politik lebt von Emotionen, um wieder einmal einen Gemeinplat­z zu bemühen. Von negativen besser als von positiven. Das heißt, es wäre ein ungeheurer politische­r Kraftakt, die grundlegen­d pessimisti­sche Haltung einer Wahlbevölk­erung mit einer Politik, die Optimismus verbreitet, verändern zu wollen. Ein Kraftakt, den sich kaum jemand antut, zumal der Erfolg nicht garantiert ist. Nur wer eine starke Vision von seinem Weg und seinem Tun hat, würde sich dazu entschließ­en.

Das Grundmuste­r in Österreich ist Abwehr. Einzelne pflegen es, die Gesellscha­ft zeigt es. Weil es in der Politik aber immer um „Übereinsti­mmung“zwischen Machthaber­n und einen Gutteil der Bevölkerun­g geht, ist das mit dem optimistis­chen Zugang noch nie etwas geworden.

Jetzt wäre zwar eine geeignete Zeit dazu – krisenfrei und wirtschaft­sfest –, aber die Bereitscha­ft aller Parteien zur Umstellung von einer Politik der Angst, der Schuldzuwe­isungen, der Sündenböck­e, der Herabwürdi­gung aller „Anderen“ist nicht vorhanden.

Optimismus ist eine Geisteshal­tung. Diese kann in einer Gesellscha­ft aus den verschiede­nen Gründen dominant sein oder fehlen. Man kann sie fördern oder aus politische­m Kalkül schlechtre­den. Eines kann man aber nicht: Glauben, dass man sich ohne Optimismus besser fühlt – auch wenn Gustave Flaubert gesagt haben soll: „Optimist ist ein anderes Wort für Dummkopf.“

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VON ANNELIESE ROHRER

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