Herrschaftlich geht die Welt zugrunde
Die Ausbeutung der Natur ist eng verknüpft mit konkreten gesellschaftlichen Beziehungen, so der Politologe Ulrich Brand. Ökologische Fragen können deshalb nicht ohne ihre sozialen Bedingungen gelöst werden.
Bedeutet es wirklich Freiheit, einen SUV zu fahren und das neueste Smartphone zu besitzen? Oder Garnelen zu essen und rund um die Welt zu fliegen? Mit den Werten dahinter beschäftigt sich Ulrich Brand vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien. Imperial nennt er eine Lebensweise, die sich durch Konsum von Statussymbolen auszeichnet. Herrschaftlich also. Der Grundgedanke hinter diesem Konzept sei die Ausbeutung von Mensch und Natur: „Im Globalisierungsprozess wird mehr und systematischer denn je zuvor auf die Ressourcen der Welt und die billige Arbeitskraft zurückgegriffen.“An den Beispielen Mobilität, Kommunikation und Ernährung wird schnell ersichtlich, dass der Globale Norden exzessiv auf Kosten der Südländer lebt.
Hierzulande sickern die Probleme, die unser Konsumverhalten auslöst – etwa, dass Palmölplantagen für Artensterben und Landnutzungskonflikte verantwortlich sind –, aber nur ganz langsam ins Bewusstsein einer kleinen Minderheit. Selten und meist in Zusammenhang mit einem tragischen Unglück, wie 2013, als beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch über 1100 Menschen getötet wurden, drängen globale Zusammenhänge für einen kurzen Moment ans Licht. „Erst da wurde vielen hier plötzlich bewusst, dass auch Ketten wie H&M unter schändlichsten sozialen und ökologischen Bedingungen ihre T-Shirts produzieren“, sagt Brand.
Seit mittlerweile über zehn Jahren forscht er in Wien zu internationaler Ressourcen- und Umweltpolitik. Derzeit ist Brand für ein halbes Jahr lang Gastwissenschaftler am Kolleg Postwachstumsgesellschaften der Uni Jena in Deutschland. Hier arbeiten Wissenschaftler und Wissenschaftle- rinnen aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu der Frage, ob sich moderne Gesellschaften auch anders als über wirtschaftliches Wachstum stabilisieren lassen. Post-Extraktivismus (siehe Lexikon) tituliert Brand die Vision einer Welt, in der koloniale Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen überwunden sind.
Der sogenannte grüne Konsument allein könne genauso wenig wie technologische Innovation im Sinn einer Effizienzrevolution die Menschheit aus der Krise führen, so die These Brands. Gemeinsam mit dem Politologen Markus Wissen und dem Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta entwickelte er Szenarien, wie der Kapitalismus überwunden werden kann – nachzulesen in den im OekomVerlag erschienenen Büchern „Imperiale Lebensweise“(2017) und „Radikale Alternativen“(2018). Demnach brauche es zum einen auf der Ebene der Produktionsweise starke sozial-ökologische Regeln sowie eine selektive Rücknahme der Globalisierung. „Im Agrar- und Lebensmittelbereich muss wieder viel stärker lokal und ökologisch produziert werden“, erklärt Brand. Zum anderen gehöre die Infrastruktur stärker nach ökologischen Kriterien gestaltet. Wesentlich für diese Veränderungen sei ein Umdenken in den Köpfen: „Die Leute wollen immer mehr haben. Die Frage ist nun, wie wir diese Kultur des Geiz-ist-geil und Kauf-dichglücklich verändern können. Dies muss auch politisch unterstützt werden.“
Im Jenaer Kolleg will Brand zusammen mit Harald Welzer von der Uni Flensburg erforschen, wie man den kulturellen Wandel für sozial-ökologische Umbauprozesse stärken könnte. Eine wesentliche Rolle, so glaubt er, spielen Nischen- und Erfahrungsräume, in denen Menschen in Berührung mit alternativen Konzepten kommen, wie dies zum Beispiel beim Urban Gardening der Fall ist.
„Den einen Kapitalismus, der über unser Leben bestimmt, gibt es nicht“, betont Brand. Es gebe starke ökonomische Sektoren, die privat und gewinnorientiert organisiert seien, aber genauso solche, wie etwa die Wiener Linien, bei denen das Profitprinzip nicht gelte. „Es ist eine politische Entscheidung der Bundeshauptstadt, dass das Transportsystem – anders als etwa in Los Angeles oder Mexiko Stadt, wo die Busse privatisiert sind – gut sein soll.“Er will sich nicht missverstanden wissen: „Ich bin nicht für die Verstaatlichung aller Industrie. Der Staat ist nicht per se gut. Er baut auch den Lobautunnel und die dritte Piste in Schwechat. Aber ich bin dafür, genauer hinzusehen: Wann entwickeln große Unternehmen Macht? Wann wird wirtschaftliche Macht zu politischer Macht – Stichwort systemrelevante Banken oder systemrelevante Autoindustrie.“Der Politologe nennt das Beispiel des Dieselskandals, bei dem sich gezeigt habe, dass sich die Autounternehmen den notwendigen ökologischen Regeln nicht unterwerfen wollen. Brand: „Das geht nicht. Da muss die Politik Farbe bekennen, so wie historisch etwa bei der Abschaffung von Kinderarbeit.“
Die Utopie vom guten Leben für alle ist Brand zu salopp formuliert. Worum es ihm gehe, seien vielmehr gesellschaftliche, ökonomische und politische Bedingungen, die einen gut ausgebauten öffentlichen Verkehr, leistbare ökologische Produkte und kostenlose Bildung sicherstellen: „Das wäre als Prinzip für alle denkbar und möglich. Wir brauchen ein Wohlstandsmodell, also kein Wachstumsmodell, in dem Menschen auskömmlich leben können – und zwar nicht auf Kosten der Natur oder anderer Menschen.“
bezeichnet ein eng mit dem Kolonialismus verknüpftes Gesellschaftsmodell, das um den Abbau von Ressourcen und deren Verkauf über den Weltmarkt organisiert ist. Auch der Staat und reichere Bevölkerungsschichten haben Interesse an den Exporteinnahmen. Dies geht zulasten der Natur und der lokalen Bevölkerung.
ist der Gegenentwurf zum Extraktivismus. Voraussetzung für diesen wären u. a. Preisstabilisierung, Industrialisierung in den Südländern und Anerkennung von ökologischer Landwirtschaft.