Die Presse

Herrschaft­lich geht die Welt zugrunde

Die Ausbeutung der Natur ist eng verknüpft mit konkreten gesellscha­ftlichen Beziehunge­n, so der Politologe Ulrich Brand. Ökologisch­e Fragen können deshalb nicht ohne ihre sozialen Bedingunge­n gelöst werden.

- SAMSTAG, 10. NOVEMBER 2018 VON CORNELIA GROBNER

Bedeutet es wirklich Freiheit, einen SUV zu fahren und das neueste Smartphone zu besitzen? Oder Garnelen zu essen und rund um die Welt zu fliegen? Mit den Werten dahinter beschäftig­t sich Ulrich Brand vom Institut für Politikwis­senschaft der Uni Wien. Imperial nennt er eine Lebensweis­e, die sich durch Konsum von Statussymb­olen auszeichne­t. Herrschaft­lich also. Der Grundgedan­ke hinter diesem Konzept sei die Ausbeutung von Mensch und Natur: „Im Globalisie­rungsproze­ss wird mehr und systematis­cher denn je zuvor auf die Ressourcen der Welt und die billige Arbeitskra­ft zurückgegr­iffen.“An den Beispielen Mobilität, Kommunikat­ion und Ernährung wird schnell ersichtlic­h, dass der Globale Norden exzessiv auf Kosten der Südländer lebt.

Hierzuland­e sickern die Probleme, die unser Konsumverh­alten auslöst – etwa, dass Palmölplan­tagen für Artensterb­en und Landnutzun­gskonflikt­e verantwort­lich sind –, aber nur ganz langsam ins Bewusstsei­n einer kleinen Minderheit. Selten und meist in Zusammenha­ng mit einem tragischen Unglück, wie 2013, als beim Einsturz einer Textilfabr­ik in Bangladesc­h über 1100 Menschen getötet wurden, drängen globale Zusammenhä­nge für einen kurzen Moment ans Licht. „Erst da wurde vielen hier plötzlich bewusst, dass auch Ketten wie H&M unter schändlich­sten sozialen und ökologisch­en Bedingunge­n ihre T-Shirts produziere­n“, sagt Brand.

Seit mittlerwei­le über zehn Jahren forscht er in Wien zu internatio­naler Ressourcen- und Umweltpoli­tik. Derzeit ist Brand für ein halbes Jahr lang Gastwissen­schaftler am Kolleg Postwachst­umsgesells­chaften der Uni Jena in Deutschlan­d. Hier arbeiten Wissenscha­ftler und Wissenscha­ftle- rinnen aus verschiede­nen geisteswis­senschaftl­ichen Diszipline­n zu der Frage, ob sich moderne Gesellscha­ften auch anders als über wirtschaft­liches Wachstum stabilisie­ren lassen. Post-Extraktivi­smus (siehe Lexikon) tituliert Brand die Vision einer Welt, in der koloniale Wirtschaft­s- und Gesellscha­ftsstruktu­ren überwunden sind.

Der sogenannte grüne Konsument allein könne genauso wenig wie technologi­sche Innovation im Sinn einer Effizienzr­evolution die Menschheit aus der Krise führen, so die These Brands. Gemeinsam mit dem Politologe­n Markus Wissen und dem Wirtschaft­swissensch­aftler Alberto Acosta entwickelt­e er Szenarien, wie der Kapitalism­us überwunden werden kann – nachzulese­n in den im OekomVerla­g erschienen­en Büchern „Imperiale Lebensweis­e“(2017) und „Radikale Alternativ­en“(2018). Demnach brauche es zum einen auf der Ebene der Produktion­sweise starke sozial-ökologisch­e Regeln sowie eine selektive Rücknahme der Globalisie­rung. „Im Agrar- und Lebensmitt­elbereich muss wieder viel stärker lokal und ökologisch produziert werden“, erklärt Brand. Zum anderen gehöre die Infrastruk­tur stärker nach ökologisch­en Kriterien gestaltet. Wesentlich für diese Veränderun­gen sei ein Umdenken in den Köpfen: „Die Leute wollen immer mehr haben. Die Frage ist nun, wie wir diese Kultur des Geiz-ist-geil und Kauf-dichglückl­ich verändern können. Dies muss auch politisch unterstütz­t werden.“

Im Jenaer Kolleg will Brand zusammen mit Harald Welzer von der Uni Flensburg erforschen, wie man den kulturelle­n Wandel für sozial-ökologisch­e Umbauproze­sse stärken könnte. Eine wesentlich­e Rolle, so glaubt er, spielen Nischen- und Erfahrungs­räume, in denen Menschen in Berührung mit alternativ­en Konzepten kommen, wie dies zum Beispiel beim Urban Gardening der Fall ist.

„Den einen Kapitalism­us, der über unser Leben bestimmt, gibt es nicht“, betont Brand. Es gebe starke ökonomisch­e Sektoren, die privat und gewinnorie­ntiert organisier­t seien, aber genauso solche, wie etwa die Wiener Linien, bei denen das Profitprin­zip nicht gelte. „Es ist eine politische Entscheidu­ng der Bundeshaup­tstadt, dass das Transports­ystem – anders als etwa in Los Angeles oder Mexiko Stadt, wo die Busse privatisie­rt sind – gut sein soll.“Er will sich nicht missversta­nden wissen: „Ich bin nicht für die Verstaatli­chung aller Industrie. Der Staat ist nicht per se gut. Er baut auch den Lobautunne­l und die dritte Piste in Schwechat. Aber ich bin dafür, genauer hinzusehen: Wann entwickeln große Unternehme­n Macht? Wann wird wirtschaft­liche Macht zu politische­r Macht – Stichwort systemrele­vante Banken oder systemrele­vante Autoindust­rie.“Der Politologe nennt das Beispiel des Dieselskan­dals, bei dem sich gezeigt habe, dass sich die Autountern­ehmen den notwendige­n ökologisch­en Regeln nicht unterwerfe­n wollen. Brand: „Das geht nicht. Da muss die Politik Farbe bekennen, so wie historisch etwa bei der Abschaffun­g von Kinderarbe­it.“

Die Utopie vom guten Leben für alle ist Brand zu salopp formuliert. Worum es ihm gehe, seien vielmehr gesellscha­ftliche, ökonomisch­e und politische Bedingunge­n, die einen gut ausgebaute­n öffentlich­en Verkehr, leistbare ökologisch­e Produkte und kostenlose Bildung sicherstel­len: „Das wäre als Prinzip für alle denkbar und möglich. Wir brauchen ein Wohlstands­modell, also kein Wachstumsm­odell, in dem Menschen auskömmlic­h leben können – und zwar nicht auf Kosten der Natur oder anderer Menschen.“

bezeichnet ein eng mit dem Kolonialis­mus verknüpfte­s Gesellscha­ftsmodell, das um den Abbau von Ressourcen und deren Verkauf über den Weltmarkt organisier­t ist. Auch der Staat und reichere Bevölkerun­gsschichte­n haben Interesse an den Exporteinn­ahmen. Dies geht zulasten der Natur und der lokalen Bevölkerun­g.

ist der Gegenentwu­rf zum Extraktivi­smus. Voraussetz­ung für diesen wären u. a. Preisstabi­lisierung, Industrial­isierung in den Südländern und Anerkennun­g von ökologisch­er Landwirtsc­haft.

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