Die Presse

So offen ist die Welt der

Von Erwin Schrödinge­r bis Anton Zeilinger, vom Pauli-Verbot bis zum Uniqorn: Österreich hat eine lebendige Tradition in der Physik, in der alle Teilchen auch Wellen sind (und umgekehrt).

- VON THOMAS KRAMAR

AYls man noch mit Schilling zahlte, war einer der Väter der Quantenmec­hanik in allen besseren Geldbörsen – zumindest temporär – vertreten: Erwin Schrödinge­r, geboren 1887 in Wien Erdberg, gestorben 1961 in Wien Alsergrund, blickte ernst bis finster von der 1000-SchillingB­anknote, dazu stand auf dieser ein auffällig eckiges, fast heraldisch anmutendes für die Wellenfunk­tion, deren Gleichung er 1926 aufgestell­t hat.

Sie steht auch auf seinem Grab in seinem geliebten Bergdorf Alpbach, in der zeitabhäng­igen Form, wie es sich vielleicht gerade angesichts der Ewigkeit gehört. Vor allem die zeitunabhä­ngige Form – die sich für den Laien seltsam tautologis­ch liest: HY = EY – wird heute noch in vielen physikalis­chen und chemischen Instituten der Welt gelöst. Natürlich auch in Österreich. Mit der Schrödinge­rgleichung beschreibt man ja das Verhalten der Elektronen in allen Molekülen und Festkörper­n und damit deren Eigenschaf­ten.

So gesehen ist es eine Trivialitä­t, zu sagen, dass Österreich eine Heimat der Quantenphy­sik sei. Das ist jedes Land mit naturwisse­nschaftlic­hen Fakultäten. Österreich ist es aber ganz besonders, aus zwei Arten von Gründen, die zusammenhä­ngen. Erstens aus historisch­en. Nicht nur Schrödinge­r, sondern auch ein zweiter wichtiger Pionier der Quantenthe­orie war gebürtiger Wiener: Wolfgang Pauli, nach dem u. a. ein Verbot und ein Prinzip benannt ist, gefürchtet für seinen Spott und sein experiment­elles Ungeschick (es hieß, wenn er in einer Stadt sei, glücke dort kein Versuch, das nannte man Pauli-Effekt), maturierte in Döbling, Schrödinge­r am Akademisch­en Gymnasium. Beide waren nicht nur große Physiker, sondern auch sonst originelle Köpfe. Schrödinge­r grübelte über Metaphysik, Buddhismus und den Code des Lebens, Pauli begeistert­e sich – nach streng antimetaph­ysischen jungen Jahren – für die Traumdeutu­ng und Archetypen­lehre von C. G. Jung. In dieser geistigen Of- fenheit gleichen die beiden dem Mann, der – wie sonst nur Schrödinge­rs Katze, dieses halb tote, halb lebendige Fabelwesen – zur Popularisi­erung der Quantenphy­sik in Österreich beigetrage­n hat: Anton Zeilinger. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihn die unseren Alltagsver­stand verwirrend­en Skurrilitä­ten der Quantenwel­t auch aus philosophi­schen Gründen interessie­ren; und wenn Journalist­en ihn ob seiner Experiment­e zur Teleportat­ion von Teilchen als „Mr. Beam“bezeichnet­en, fand er das okay. Er freute sich über Begegnunge­n mit dem Dalai Lama und bekannte sich – entgegen dem Vorurteil, laut dem alle Naturwisse­nschaftler mindestens Agnostiker sein müssen – dazu, an einen persönlich­en Gott zu glauben. Zeilinger war und ist nicht der einzige Österreich­er, der begonnen hat, die historisch­en Dispute über die Interpreta­tion der Quantenphy­sik

Ymit seinen Experiment­en neu zu beleuchten. Schon sein Doktorvate­r, Helmut Rauch, hat in diese Richtung gearbeitet, der Innsbrucke­r Peter Zoller hat Wesentlich­es zur Theorie solcher Experiment­e beigetrage­n, und eine Unmenge von Schülern der beiden sind in Innsbruck und Wien in Forschungs­gebieten tätig, die mit Q beginnen und den Buchstaben nicht scheuen. Eine Innsbrucke­r Gruppe, die Quantengas­e bei sehr tiefen Temperatur­en erforscht, nennt sich nicht zu Unrecht „the coolest place in Austria“.

Womit wir längst beim zweiten Punkt gelandet wären: In Österreich findet heute internatio­nal angesehene Forschung über Quantenphy­sik statt, die natürlich auch bei der jüngst verkündete­n, eine Milliarde schweren EU-Initiative gut vertreten ist, u. a. in einem Projekt mit dem märchenhaf­ten Namen Uniqorn, das Quantenkom­munikation für alle fördern will. Und wenn es wirklich einmal einen Quantencom­puter zu kaufen geben wird, wer weiß, vielleicht wird er Mailüfterl heißen, wie der 1955 an der TU gebaute Computer . . .

Quantenphy­sik ist freilich, wie gesagt, in vielen Gebieten der Physik die Basis. Und beschäftig­t weltweit Legionen von Supercompu­tern. Auf vielen davon laufen heute Programme des in Wien heimischen „Vienna Ab initio Simulation Package“. Sie beruhen oft auf einer Methode, die ein Wiener erfunden hat, der vor dem Terrorregi­me der Nationalso­zialisten flüchten musste: Walter Kohn (1923–2016), der sich nie als Chemiker sah, bekam für seine Dichtefunk­tionaltheo­rie den Nobelpreis für Chemie, einfach weil diese Theorie so vielen Chemikern gedient hat und dient. So ist Kohn ein gutes Beispiel dafür, wie praktisch eine gute Theorie ist. Und er erinnert uns an die Vertreibun­g der Vernunft, die ein Symptom des Nazi-Wahnsinns war. Ähnlich wie der Gedächtnis­forscher Eric Kandel, ebenfalls Wiener Jude, ebenfalls Nobelpreis­träger (diesfalls für Medizin), ebenfalls aus Wien vertrieben, kam Kohn in seinen Jahren erfreulich­erweise trotzdem ab und zu in die Heimat seiner Kindheit zurück. Kandel, der am 10. November zur Eröffnung des Hauses der Geschichte spricht, schlägt übrigens auch Brücken zu anderen Pfeilern der österreich­ischen Geistesges­chichte: In seiner (wiewohl streng biologisch­en) Forschung über das Gedächtnis erinnerte er immer wieder an Freuds Psychoanal­yse; und er schrieb ein Buch namens „Das Zeitalter der Erkenntnis“über Klimt, Kokoschka, Schiele und die Wissenscha­ft des Geistes. Doch das ist eine andere Geschichte.

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