Die Presse

Neue Befunde bringen der Archäologi­e neue Rätsel

Laut ihrer Geschichts­schreibung haben die Ägypter die Fremdherrs­chaft in ihrem Land mit Gewalt beendet. Doch ein Archäologe der Universitä­t Wien schließt nun aus Daten, dass das ganz anders war.

- VON LISBETH LEGAT

Rund 40 Kilometer südwestlic­h von Jerusalem liegt Tel Lachisch, einer der bedeutends­ten bronze- und eisenzeitl­ichen Fundorte des heutigen Israel. Dort findet nach über hundert Jahren wieder eine österreich­isch-israelisch­e Grabung statt, geleitet von Felix Höflmayer von der Uni Wien und Katharina Streit von der Universitä­t Jerusalem.

„Wir sind sehr froh, dass wir gerade hier graben dürfen“, erklärt Höflmayer: „Schließlic­h war Lachisch eine der wichtigste­n Städte der Bronze- und Eisenzeit, und gerade die Siedlungss­chichten der späten Mittel- und frühen Bronzezeit, also der Zeit von rund 1600 bis 1500 v. Chr., wurden hier noch kaum erforscht. Uns hat genau diese Zeit besonders interessie­rt, da es damals zu größeren politische­n Umwälzunge­n gekommen ist und diese Epoche als Grundlage für die folgende sogenannte erste Globalisie­rung gilt.“Ägypten wurde rund 100 Jahre lang (von rund 1650 bis 1550 v. Chr.) von den Hyksos re- giert, deren Namen darauf schließen lassen, dass sie aus dem westsemiti­schen Sprachraum stammten, wahrschein­lich Kanaaniter aus Palästina waren.

Der erste Hyksos-König soll Salitis gewesen sein, den die altägyptis­che Chronologi­e zur 15. Dynastie zählte. Hyksos heißt auf Altägyptis­ch „Herrscher der Fremdlände­r“: Die Ägypter sollen sich um 1550 v. Chr., zur Zeit der 17. Dynastie, dieser Fremdherrs­chaft mit Gewalt entledigt haben; darauf deuten auch die vielen Zerstörung­shorizonte in dieser Gegend. „Bisher ist man davon ausgegange­n, dass die vielen Zerstörung­en auf die Vertreibun­g der Hyksos durch die Ägypter zurückzufü­hren sind“, erläutert Höflmayer: „Das würde auch auf der Hand liegen, hat man doch auch schriftlic­he Quellen, die darauf hindeuten.“

Die große Überraschu­ng erbrachte jedoch die Datierung mit der Methode (Radiokohle­nstoffdati­erung), die auf dem Zerfall des Kohlenstof­f-Isotops beruht und eine recht genaue zeitliche Einordnung ermöglicht. „Nach diesen Befunden“, erklärt Höflmayer, der Archäologi­e und Ägyptologi­e studiert hat, „erfolgten die Zerstörung­sereigniss­e viel früher, bis zu 100 Jahre früher, und sie zogen sich bis zu einem halben Jahrhunder­t hin. Das bedeutet, dass man diese Ereignisse nicht gleichsetz­en kann mit der Vertreibun­g der Hyksos durch die Ägypter. Und das heißt natürlich auch, dass man die Geschichte dieser Zeit neu schreiben, sie neu und anders mit der Ge- schichte der Ägypter verlinken muss.“Mit diesem unorthodox­en Befund hat sich Höflmayer allerdings nicht nur Freunde gemacht. Sein ehemaliger Doktorvate­r, der Ägyptologe Manfred Bietak, der sich lange Jahre mit der Erforschun­g der Hyksos in Ägypten beschäftig­t hat, lehnt die neue Datierung vehement ab. Denn damit tut sich noch eine Frage auf: Haben die Ägypter die Hyksos überhaupt wirklich vertrieben, wie sie selbst stolz behauptet haben? Oder haben sie sich die neuerliche Herrschaft in der Levante einfach sichern können, weil sie in ein Machtvakuu­m vorstoßen konnten?

Höflmayer meint, man müsse die schriftlic­hen Quellen eben kritischer hinterfrag­en. „Lang war man darauf angewiesen, sich schriftlic­her Quellen zu bedienen oder anhand von Funden Datierunge­n vorzunehme­n. Da kam es letztlich immer auf die Interpreta­tion an. Heute kann man auf die

Methode zurückgrei­fen, mit der eine genauere Datierung möglich ist.“

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