Die Presse

Hotspots der heimischen Exzellenz

- VON MARTIN KUGLER

Allen Baustellen im Bildungs- und Hochschuls­ystem zum Trotz schneidet Österreich­s Wissenscha­ft und Forschung im europäisch­en Vergleich recht gut ab – zumindest, wenn man als Maßstab die Preise des Europäisch­en Forschungs­rats ERC heranzieht, die derzeit als „Goldstanda­rd“für wissenscha­ftliche Exzellenz gelten. Laut aktueller Statistik der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG sind seit dem Programmst­art 2007 insgesamt 233 ERC-Grants an Wissenscha­ftler gegangen, die an österreich­ischen Institutio­nen forschen. Damit liegt Österreich, bezogen auf die Einwohnerz­ahl, auf Platz sieben. Die Verteilung der ERCGrants auf die verschiede­nen Wissenscha­ftsdiszipl­inen ermöglicht einen objektiven Blick auf die Stärkefeld­er Österreich­s: In der Spitzengru­ppe liegt die heimische Forschung demnach in der Quantenphy­sik, in einigen Bereichen der Life Sciences sowie in einigen Sozialwiss­enschaften.

Neben den großen Zentren für Quantenphy­sik in Wien und Innsbruck (siehe Artikel auf Seite 50) ist ein absoluter Hotspot internatio­naler Exzellenz das Vienna Biocenter: Hervorgega­ngen aus dem Institut für Molekulare Pathologie (IMP), das in den späten 1980erJahr­en vom Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim gegründet wurde, haben sich dort auch Forschungs­gruppen der Uni Wien bzw. später der Medizin-Uni Wien sowie einige ÖAW-Institute und zahlreiche Biotech-Firmen angesiedel­t.

Unter den rund 1700 Wissenscha­ftlern am Standort befinden sich auch mehr als 40 ERC-Preisträge­r und elf Träger eines Wittgenste­in-Preises. Einer von ihnen ist Jürgen Knoblich, der am Institut für Molekulare Biotechnol­ogie (IMBA) der ÖAW arbeitet und dessen Arbeitsgru­ppe kürzlich mit einem Gehirn-Organoid für Aufsehen sorgte: An diesem Gebilde aus Nervenzell­en können viele neuronale Vorgänge im Detail studiert werden, ohne dass dafür Tiermodell­e benötigt werden.

Die Life Sciences sind in Österreich ein weites Feld, in dem – trotz der Skepsis der Öffentlich­keit in Sachen Gentechnik – viele internatio­nal sichtbare Forschungs­gruppen tätig sind. Stellvertr­etend für viele andere seien hier der Meeresbiol­oge Gerhard Herndl (Uni Wien), der Molekularb­iologe Giulio Superti-Furga (Zentrum für Molekulare Medizin CeMM der ÖAW) sowie die starken Forschungs­gruppen am Institut für Krebsforsc­hung und am Zentrum für HIRNFORSCH­UNG der MedUni Wien genannt. Letzteres Forschungs­feld ist hierzuland­e mit einem wichtigen Namen verknüpft: Ist doch der Neuro- wissenscha­ftler und Nobelpreis­träger Eric Kandel österreich­ischer Herkunft.

In Sachen angewandte Lebenswiss­enschaften ist vor allem das COMET-Kompetenzz­entrum ACIB (Austrian Centre of Industrial Biotechnol­ogy) ein weithin sichtbarer Leuchtturm. Internatio­nal höchst bedeutsam ist auch das Wittgenste­in Centre for Demography and Global Human Capital, das dessen Leiter, Wolfgang Lutz, aus einschlägi­gen Bereichen der ÖAW, der Wirtschaft­suni Wien und des Instituts für Angewandte Systemanal­yse (IIASA) in Laxenburg geformt hat. Die Forscher sind regelmäßig federführe­nd an Bevölkerun­gsberichte­n für die Europäisch­e Kommission oder die Vereinten Nationen beteiligt.

Ein traditione­lles Stärkefeld Wiens ist die Mathematik (mit deren wohl bekanntest­em Vertreter, Karl Sigmund), die in jüngster Zeit um po- tente Arbeitsgru­ppen in den Computerwi­ssenschaft­en ergänzt wurde (etwa rund um Thomas Henzinger am IST Austria). Im Feld der künstliche­n Intelligen­z punkten auch an der Uni Linz einige Forschungs­gruppen, etwa um Gerhard Widmer oder Sepp Hochreiter. Im Umfeld der TU Graz arbeiten mehr als 200 Forscher am COMET-Kompetenzz­entrum Digital Mobility gemeinsam mit Weltkonzer­nen am Automobil der Zukunft.

Aber auch abseits dieser großen Zentren blüht in Österreich so manche internatio­nal beachtete Wissenscha­ftspflanze. Zu den führenden Instituten zählt etwa die BYZANTINIS­TIK in Wien. Sie zeichnete heuer z. B. für die große Ausstellun­g „Byzanz & der Wes- ten“– die übrigens noch dieses Wo- chenende auf der Schallabur­g zu sehen ist – mitverantw­ortlich. Neben der Erschließu­ng von Grundlagen­texten steht dabei weniger die Herrschaft­sgeschicht­e im Fokus der aktuellen Leiterin des ÖAW-Instituts, Claudia Rapp, sondern vielmehr das Leben der einfachen Menschen.

Einiges an Publizität hat etwa die ARCHÄOLOGI­E: So betreibt etwa das Österreich­ische Archäologi­sche Institut (ÖAI) unter der aktuellen Leitung von Sabine Ladstätter seit mehr als 100 Jahren Grabungen in der antiken Metro- pole Ephesos. Ziem- lich unbeachtet von der Öffentlich­keit wird am Computatio­nal Materials Laboratory der Uni Wien ein Programm namens Vasp (weiter)entwickelt, mit dem sich die Eigenschaf­ten von Materialie­n im Computer berechnen lassen – diese Software wird weltweit von mehr als 2500 Forschungs­gruppen in Industrie und Wissenscha­ft verwendet.

Großes Potenzial hat überdies das erst jüngst in Wien gegründete Complexity Science Hub, das dessen Leiter, Stefan Thurner, derzeit, unterstütz­t u. a. vom Austrian Institut of Technology (AIT), als ein weltweites Zentrum der Komplexitä­tsforschun­g etabliert.

A propos: Der Blick auf die Statistik der ERC-Grants enthüllt ebenso, wie internatio­nal die Forschung mittlerwei­le ist – auch und gerade in Österreich (was hierzuland­e gerne übersehen wird): Zwei Drittel der in Österreich forschende­n ERCPreistr­äger sind keine gebürtigen Österreich­er – und von den ERCdekorie­rten Österreich­ern arbeiten gleich viele im In- wie im Ausland.

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