Die Presse

Das Ersatzmeer: Mit einem Bein an der Riviera

Wörthersee. Der Zugang zur Sommerfris­che hat sich gewandelt. Österreich­s Südsee bleibt ein Treffpunkt.

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Dass es am Wörthersee schön ist, wussten die Wiener spätestens 1864 – als sie nämlich aus dem Zug der neuen Südbahn stiegen. Hier sollten sie alsbald Wurzeln schlagen, mit ihren Familien, ihrer ganzen Entourage. Man mietete sich in den neu entstanden­en Etablissem­ents wie etwa Wahliss oder Werzer ein – diese auch aus heutiger Sicht fortschrit­tlichen Villenreso­rts mit Hotel, Gastronomi­e und Freizeitan­lagen trieben die touristisc­he Entwicklun­g am See rasch voran. Wer mit kleinerem Budget ausgestatt­et war, bezog Quartier in einfachere­n Häusern. Manche Sommerfris­chler blieben oft Monate voller Müßiggang und gesellscha­ftlicher Ereignisse – es lohnte sich also, für die wohlhabend­sten Gäste historisti­sche und Jugendstil­villen, noble Landhäuser, romantisch­e Schlössl und Wassereinb­auten errichten zu lassen. Von diesem architekto­nischen Erbe zehrt die Seeregion noch heute, wenngleich etliche Bauten bereits verschwund­en und von den verbleiben­den einige ungenutzt sind.

Nach dem Ersten Weltkrieg dauerte es, bis die Sommerfris­che wieder auf Touren kam. Mancher Eigentümer hatte seinen Besitz verloren, manche Familie existierte nicht mehr. Zunehmend mischten sich, wie in den anderen Urlaubsort­en der Aristokrat­ie und des Geldadels, antisemiti­sche Töne unter die Sommergese­llschaft. Die Wirtschaft­skrise und die „Tausendmar­ksperre“brachen dem erwachten Wirtschaft­szweig Fremdenver­kehr fast das Genick, um bis nach dem Zweiten Weltkrieg zum Erliegen zu kommen. Es sollte dauern, bis der Seetourism­us wieder Fahrt aufnahm. Dafür aber gewaltig. Die absoluten Boomjahre erlebten Orte wie Velden und Pörtschach ab den Sechzigerj­ahren, weil die Sehnsucht nach Sonne, Wasser, Süden noch nicht so stark mit Badeurlaub­en am Mittelmeer oder Fernreisen gestillt wurde. Bis weit in die 1970er wurde der Wörthersee regelrecht überrannt, Hotels wuchsen, Vermieter stellten auch private Räume zur Verfügung. Von der Regatta bis zum Casino, von der Disco bis zur Wasserskis­how – es war ein großes Halligalli. Auch in den jüngsten Jahrzehnte­n zogen Events viele an – der Hauch vom Szenesee währt bis heute. Nun ist die Stimmung ein bisschen anders. Nicht mehr so laut, so lebendig, sondern gesetzter, aber auf eine lässige Art.

Der Anteil der Wiener an ihrem Ersatzmeer ist nach wie vor hoch. Vielleicht liegt es daran, dass der Wörthersee ihnen suggeriert, schon an ihrer einstigen Riviera zu sein, aber mit einem Bein doch im tiefsten Österreich zu stehen. Man kommt seit Generation­en, und wenn eine einmal aussetzt, dann nimmt oft die nächste die Tradition wieder auf. Freilich: Man bleibt nur noch ein paar Tage. Aber das wiederholt sich im Idealfall, bis es zum Ritual wird, wieder an den Wörthersee zu fahren. Und weil das viele aus Wien tun, trifft man sich vielleicht gar nicht in der City, sondern eben am See.

Das hat freilich auch Folgen für das Landschaft­sbild: Zwischen der bedeutende­n Wörthersee-Architektu­r, den Badehäusch­en, früheren Pensionen und großen Hotels, hat sich Pragmatism­us durchgeset­zt. Schlichte Kuben füllen die Grundstück­e maximal aus, weil jeder Quadratmet­er heiß begehrt und teuer ist. Das geht zulasten der Landschaft, an manchen Stellen sieht der Wörthersee geradezu urban aus. Petrol bis türkis schimmert das Wasser noch immer, das Ufergrün ist weniger geworden.

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VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

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