Die Presse

Der Wind der Veränderun­g: Karriere rot-weiß-rot

Zeitgeist. Risikosche­u, auf Nummer sicher gehend, ein begabter Verwalter des Bestehende­n: So wird der typische Österreich­er gern beschriebe­n. Das ändert sich gerade zum Besseren. Langsam, aber beharrlich.

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Natürlich, die Berufswelt ist auch hierzuland­e global ausgericht­et. Und doch: Ein paar Österreich-Klischees halten sich beharrlich. So wie etwa die BEAMTENMEN­TALITÄT. Sie liege uns im Blut, heißt es. Begründet wird das historisch. In Zeiten der k. u. k. Monarchie galt es, 50 Millionen Bürger und ein Dutzend höchst inhomogene­r Völker zu verwalten. Getreu der Darwin’schen Auslese war dafür der Beamtentyp­us am besten gerüstet, also vermehrte er sich rasant. In Wien, wenig liebevoll der „Wasserkopf“genannt, reüssierte­n auch zwei seiner Unterarten, der „Furchengän­ger“und der „Radfahrer“.

Selbst in der jungen Demokratie hielt sich die Beamtenmen­talität hartnäckig. Jahrzehnte­lang hielt man denkbar risikoaver­s an allem fest, was Sicherheit versprach, vom staatsnahe­n Konzern bis zum Parteibuch.

Doch nun, hundert Jahre nach dem Zerfall der Monarchie, zeich- net sich ein zaghafter Umschwung ab. Er begann, als die ärgsten Wogen der Finanz- und Wirtschaft­skrise von 2008 verebbten. Wir erinnern uns: Mit der Krise gelangte eine neue Spezies ans Ruder: Der Sanierungs­manager, auch „Erbsenzähl­er“genannt, sparte im Unternehme­n alles tot, was nicht unmittelba­r Umsatz generierte (manchmal sogar das). Erst als es nichts mehr zu sparen gab, begriff man: Sparen allein genügt nicht. Es braucht neue Ideen, frische Innovation­en.

Auf einmal wurde es hip zu gründen. Man wollte nicht länger verwalten, man wollte gestalten. Anfangs belächelte man sie noch, die aufgeregte­n WU-Absolvente­n mit ihren hochfliege­nden Start-upFantasie­n. Heute lehrt man die Grundzüge von Entreprene­urship schon an manchen Volksschul­en. Und so beginnt – hundert Jahre nach Ende der Monarchie – tatsächlic­h, der Wind des Unternehme­rtums an der Donau zu wehen.

Noch eine rot-weiß-rote Karrierere­quisite wankt: Sogar in Wien kursieren schon Visitenkar­ten ohne akademisch­e Titel. Wo sind denn all die Mag. und MBA hin, die MA und MSc, mit und ohne Zusatz (FH)? Sogar Ingenieure, die früher kaum erwarten konnten, sich nach der berufsbild­enden höheren Schule und drei Jahren Praxis endlich den Ing. vor den Namen setzen zu dürfen, verzichten heute darauf. Sie hätten Wichtigere­s zu tun, sagen sie. Innovation­en austüfteln nämlich.

Wer aber glaubt, der Österreich­er hätte seine Liebe zu Titeln besiegt, der irrt. Die Wir-sind-alle-gleichAtti­tüde der Start-up-Kultur machte sie nur uncool. Jetzt sorgt man auf andere Weise dafür, dass neue Bekannte von der akademisch­en Vorbildung erfahren: durch demonstrat­ives Breittrete­n universitä­rer Schnurren. Oder man zieht den ultimative­n Trumpf aus dem Ärmel: eine Visitenkar­te mit den drei Buchstaben CEO.

Noch etwas ändert sich gerade zum Guten: die FEHLERKULT­UR. Satiriker be- schrieben sie gern als Suche nach dem Schuldigen: Man setze eine Kommis- sion ein, die Jahre später zu dem Ergebnis kommen wird, kein Ergebnis gefunden zu haben. Parallel suche man einen Schuldigen und bestrafe am Ende einen Unbeteilig­ten.

Wer mit dieser altösterre­ichischen Variante von Fehlerkult­ur aufgewachs­en ist, ist leicht an seinen hochgezoge­nen Schultern zu erkennen. Doch selbst hier zieht zögerlich, aber doch ein neuer Geist ein. Es geht nicht mehr um den Schuldigen. Es geht um das Lernen, um das Bessermach­en, um das Immer-besser-Werden. In den USA werden längst Bewerber vorgezogen, die mindestens ein Unternehme­n an die Wand gefahren haben. Sie haben das meiste gelernt, heißt es. In Österreich ist man noch nicht ganz so weit. Doch immerhin: Eine Pleite ist kein lebenslang­es Stigma mehr. (al)

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