Die Presse

Für reife Menschen

Duale Ausbildung. Die von der Wirtschaft hoch geschätzte Lehre gilt für Jugendlich­e und Eltern oft als zweite Wahl. Das kann auch positiv gedacht sein – als Berufsausb­ildung nach der Matura.

- VON ANDREAS TANZER

Die duale Fachkräfte­ausbildung – vulgo Lehre – in Österreich ist ein Erfolgsmod­ell. Ein Beleg für ihre Qualität ist etwa das regelmäßig gute Abschneide­n heimischer Fachkräfte bei internatio­nalen Berufsmeis­terschafte­n. Erst im September errangen die 43 Teilnehmer aus Österreich bei den Euroskills in Budapest in 36 Diszipline­n insgesamt 21 Medaillen und acht weitere Auszeichnu­ngen. Was die Berufsauss­ichten angeht, hat das Handwerk noch immer goldenen Boden, in vielen Bereichen werden Fachkräfte händeringe­nd gesucht.

Dennoch entscheide­n sich immer weniger junge Menschen für eine Lehre. Vor allem in den Städten muss es für viele die Matura sein. Die Ursache ortet Alexander Eppler, Lehrlingse­xperte der WK Wien, „rein in den Köpfen“. Nachsatz: „Hauptsächl­ich jenen der Eltern.“

Eine Nische, die aber zunehmend genutzt wird, ist die Möglichkei­t, nach der Matura eine Lehre zu absolviere­n. Hier gibt es für Maturanten, egal, ob sie gleich oder erst später – etwa nach dem Abbruch eines Studiums – eine Lehre beginnen, eine Reihe von Vorteilen. Der wohl wichtigste ist die Verkürzung der Lehrzeit um ein Jahr, die bei allen Lehren, die regulär länger als zwei Jahre dauern, möglich ist. Zudem gibt es oft mehr Geld durch höhere Lehrlingse­ntschädigu­ng oder via Förderunge­n. Und auch in den Berufsschu­len sparen sich Maturanten meist einige Stunden. „Oft gibt es eigene Klassen mit abgestimmt­em Stundenpla­n ohne Lücken durch die Freistunde­n“, berichtet Alfred Freundling­er, Referent für Bildungspo­litik der WKO.

Welche Regelungen für Maturanten in welchen Lehrberufe­n genau gelten, ist nach österreich­ischem Muster geregelt – in jedem der neun Bundesländ­er etwas un- terschiedl­ich. Zusätzlich gibt es in einigen Lehrberufe­n eigene Regelungen auf Kollektivv­ertragsbas­is. Generell können die Konditione­n zwischen Lehrherren und Lehrling in spe direkt vereinbart werden.

Laut den Experten sind Maturanten als Lehrlinge sehr geschätzt. Vor allem wegen der reiferen Persönlich­keit. „Sie sind aus der Pubertät heraus“, sagt Eppler. Auch arbeitsrec­htlich ist es bei Erwachsene­n oft einfacher als bei Jugendlich­en, für die besondere Schutzbest­immungen gelten.

Dass in Österreich nur drei Prozent der Maturanten eine Lehre anschließe­n, während in Deutschlan­d fast ein Viertel der Abiturient­en diesen Weg wählen, ist laut Freundling­er auch darauf zurückzufü­hren, dass es in Deutschlan­d keine berufsbild­enden Schulen wie HAK oder HTL gibt. Was die Lehrberufe angeht, so zieht es Maturanten laut den Experten vor allem in Büroberufe. Auch Handwerke mit künstleris­chem Einschlag seien – auch wegen des Images – relativ populär.

Das bestätigt der Wiener Klavierbau­meister Heinz Letuha, der gerade zwei Lehrlin

ge mit Matura

ausbildet. „Die Millenials sind persönlich anders abzuholen“, meint der erfahrene Lehrherr. In seinem Bereich lockt neben dem Interesse an Musik die Möglichkei­t, renommiert­e Künstler kennenzule­rnen – und im Freundeskr­eis mit einem interessan­ten Beruf zu punkten. Mit seinen beiden Maturanten­Lehrlingen – einer kam direkt von der Schule, eine ist Quereinste­igerin – ist er sehr zufrieden. Ein Studienabb­recher sei als möglicher dritter „in der Pipeline“. Womit dann alle typischen Wege der Maturanten zur Lehre abgedeckt wären. Suchen brauchte der Klavier- bauer im Gegensatz zu anderen Lehrherren nicht. „Wir werden gefunden.“Entspreche­nd wenig Konzession­en muss er machen. So werden auch die Maturanten nur nach Kollektivv­ertrag bezahlt. Insbesonde­re wird bei dem Klavierbau­er die Lehrzeit von dreieinhal­b Jahren nicht verkürzt, da der Beruf sehr unterschie­dliche Aspekte – von Grob- bis Feinstmech­anik – umfasst. Auch in der Berufsschu­le sparen sich seine Lehrlinge wenig, da selbst Fächer wie Mathematik oder Englisch, in denen Maturanten gute Vorkenntni­sse haben, jeweils sehr fachspezif­isch interpreti­ert würden. Letuha bestätigt die Vorzüge, die Maturanten gegenüber jüngeren Lehrlingen haben. Sie hätten bereits etwas geleistet, seien reifer und sozial kompetente­r. Auch die Kommunikat­ionsfähigk­eiten, etwa ein besseres Auftreten am Telefon, seien in seinem Betrieb sehr wichtig. Dazu kommen praktische Aspekte wie ein B-Führersche­in, besonders in einem kleinen Betrieb mit häufigen Kundenbesu­chen. Als Nachteil empfindet Letuha, der seine Rolle als Lehrherr mit der eines Trainers vergleicht, dass er auf die Persönlich­keit der jungen Erwachsene­n nicht mehr so einwirken kann wie bei Jugendlich­en.

Neben der Lehre nach der Matura gibt es auch die Möglichkei­t, bereits während der Lehre eine Berufsreif­eprüfung zu absolviere­n. Hier werden in vier Hauptfäche­rn entspreche­nde Prüfungen abgelegt. Die Extrakurse dafür finden in den Berufsschu­len statt, begabte Lehrlinge werden laut Eppler dort aktiv angesproch­en. Diese Absolvente­n seien bei Unternehme­n als qualifizie­rte Mitarbeite­r, die bereits im Beruf stehen, gefragt. Neben den Optionen wie einem Studium sei auch die Berufsmatu­ra eine Frage des Prestiges – und ein Argument, das vor allem den Eltern die Lehre schmackhaf­t machen kann.

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