Neue Struktur bringt neue Topjobs
Kassenreform. Türkis-Blau will eine Milliarde Euro sparen – darum soll Personal massiv reduziert werden. Auf Führungsebene entstehen aber neue Posten. Der Budgetdienst kritisiert die Reform.
Eine Milliarde Euro. Diese einprägsame Summe will die Regierung durch die Sozialversicherungsreform einsparen. Das soll vor allem durch eine 30-prozentige Reduktion von Personal- und Sachkosten erreicht werden.
Diese Vorgabe gilt offenbar nicht für die Führungsebene. Laut neuem Gesetz werden sogar einige sehr gut dotierte neue Führungspositionen entstehen.
Aus 21 Sozialversicherungsträgern sollen fünf werden. Der größte Brocken der Reform ist die Fusionierung der Gebietskrankenkassen. Die derzeit neun Kassen sollen in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) aufgehen. Diese ÖGK soll einen Leiter bekommen, der nach aktuellem Gehaltsschema rund 12.500 brutto monatlich verdienen wird. Außerdem sollen drei Stellvertreter installiert werden, die rund 11.000 Euro bekommen. Heißt: Allein für die neue ÖGK-Führungsebene muss mit mehr als 400.000 Euro pro Jahr gerechnet werden.
Das Sozialministerium argumentiert, dass dafür die Landesdirektoren wegfallen – künftig soll es Landesstellenleiter geben. Die Direktoren sind aber auf fünf Jahre bestellt und haben dementsprechende Gehaltsansprüche. Erst wenn die Verträge ausgelaufen sind, können die Posten für weni- ger Geld neu vergeben werden. Summa summarum halten sich Kosten für alte und neue Posten in der ÖGK aber wohl die Waage. Laut Berechnungen der „Presse“bringt die Reform Einsparungen auf Führungsebene zwischen 3000 und 4000 Euro im Monat – das ist weit entfernt von einer Kostenreduktion von rund einem Drittel.
Übrigens wird auch in der Pensionsversicherungsanstalt mit einem dritten Stellvertreter ein weiterer Topjob neu geschaffen.
Die „Presse“bat das Sozialministerium darum, Einsparungspotenziale auf Führungsebene zu beziffern, bekam diesbezüglich aber keine stichhaltigen Angaben.
Die Regierung hat stets davon gesprochen, auf Funktionärsebene sparen zu wollen. Damit war die sogenannte Selbstverwaltung angesprochen. Das sind jene Gremien im Gesundheitssystem, die von gewählten Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite bestückt werden.
Gemeint kann damit aber eher ein Sparen im Sinne der Struktur als des Geldes sein. Denn auch wenn es rund 450 solcher Funktionäre gibt – reich werden sie durch ihre Arbeit für das Gesundheitswesen nicht. Bis auf wenige Topfunktionäre bekommen sie nur 42 Euro Sitzungsgeld. Die Aufwendungen für Funktionäre beliefen sich 2016 inklusive Reisekosten auf rund sechs Millionen Euro. Es gibt also kein großes Sparpotenzial.
Die Angaben der Regierung über die Auswirkungen der Sozialversicherungsreform stoßen nun auch beim Budgetdienst auf Skepsis. So vermisst der Budgetdienst des Parlaments eine Begründung, warum aus 351 Millionen Euro Einsparungen im Erstentwurf schließlich die berühmte Milliarde in der Regierungsvorlage wurde. „Die Berechnungen zur Effizienzsteigerung sind weiterhin grobe Schätzungen“, stellt der Budgetdienst fest. „Ein konkretes Mengen- beziehungsweise Preisgerüst für die Berechnungen fehlt weiterhin.“
Der Budgetdienst verweist auch darauf, dass es laut jüngsten Gesamtstudien ein geringes Einsparungspotenzial gibt, weil die Sozialversicherungen bereits niedrige bis höchstens durchschnittliche Verwaltungskosten haben. Au-
Neun Gebietskrankenkassen werden in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) gebündelt. Bauern und Unternehmer werden fusioniert. Beamte, Eisenbahner und Bergbau werden zusammengelegt. Die Pensionsversicherungsanstalt bleibt ebenso bestehen wie die Unfallversicherungsanstalt AUVA. ßerdem werde der Fusionsaufwand für die Zusammenlegung der Krankenkassen zwar angeführt, aber als gering angesehen und nicht quantifiziert. Dabei sei in den Begutachtungsstellungnahmen gewarnt worden, dass hier ein großes Kostenrisiko bestehe, das man genau beobachten müsse.
„Statt die Machtverhältnisse in der Sozialversicherung zu verschieben und dem öffentlichen Gesundheitssystem Milliarden zu entziehen, fordere ich eine Leistungsharmonisierung nach oben für die Versicherten. Das erreicht die Regierung mit der angekündigten Reform jedoch nicht“, sagte Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl am Dienstag. Die Gewerkschaft hat anlässlich des am Mittwoch stattfindenden Expertenhearings zur geplanten Sozialversicherungsreform im Sozialausschuss eine Protestaktion angekündigt.
Kritik an der Reform kam am Dienstag auch von den Neos, die an Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) eine Anfrage gerichtet haben. Sie wollten wissen, wie viel Vermögen die unterschiedlichen Kassen haben. Aus diesen Zahlen werde klar, warum manche Kassen von der Reform ausgenommen seien, zitiert Ö1 Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. Das seien die reichsten – jene, die ÖVP-dominiert seien.