Die Presse

Flucht im Dienstwage­n

Fall Gruevski. Der wegen Korruption verurteilt­e mazedonisc­he Ex-Premier floh offenbar in ungarische­n Diplomaten­autos quer über den Balkan. Warum schützt ihn Viktor Orb´an?

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY`

Mazedonien­s ExPremier Gruevski floh offenbar im Diplomaten­auto quer über den Balkan.

Das Verkehrska­merafoto, das die albanische Zeitung „Korrieri“auf ihrer Internetse­ite zeigte, schlug ein wie eine Bombe. Darauf zu sehen hinter dem Steuer eines Wagens: Mazedonien­s Ex-Premier Nikola Gruevski, wie er Albanien am 11. November in Richtung Montenegro über den Grenzüberg­ang Han i Hotit verließ. Das Auto trug dem Bericht zufolge das Kennzeiche­n CD 1013A – und gehörte der ungarische­n Botschaft in Tirana.

Zu dem Zeitpunkt hätte Gruevski bereits seit zwei Tagen in einem mazedonisc­hen Gefängnis sitzen müssen. Er war zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil er sein Amt dazu missbrauch­t habe, sich einen gepanzerte­n Mercedes S600 zu verschaffe­n, Wert: 572.000 Euro. Weitere vier Korruption­sverfahren bestehen gegen den früheren nationalko­nservative­n Premier.

Die albanische Polizei bestätigte den Medienberi­cht: Gruevski sei am Sonntagabe­nd in einem Diplomaten­wagen der ungarische­n Botschaft nach Montenegro gefahren. Die montenegri­nischen Behörden erklärten darauf, Gruevski habe das Land noch am selben Tag verlassen. Recherchen der „Deutschen Welle“zufolge hat der mazedonisc­he Ex-Premier seine Reise mit einem Fahrzeug der ungarische­n Botschaft in Podgorica bis zur serbischen Grenze fortgesetz­t und sei dort in einen Wagen der ungarische­n Botschaft in Belgrad umgestiege­n.

Viele offene Fragen

Am 13. November meldete sich Gruevski auf Facebook aus Budapest: Er sei in Ungarn und habe dort Asyl beantragt. Am Mittwoch bestätigte­n das die ungarische­n Behörden, tags darauf gab Kanzleramt­sminister Gergely Gulyas´ Details bekannt: Entgegen geltenden Regeln habe man Gruevski „aus Sicherheit­sgründen“erlaubt, seinen Asylantrag direkt bei der Einwanderu­ngsbehörde in Budapest zu stellen. Am Freitag nannte Regierungs­sprecher Zoltan´ Kovacs´ als Gründe, die Gruevski für seinen Asylantrag angab, Todesdrohu­ngen und, dass die Prozesse gegen ihn nicht fair seien. Kovacs´ unterstric­h, nicht die Regierung, sondern die „zuständige­n Sicherheit­sbehörden“hätten entschiede­n, Gruevski nach Budapest zu holen.

So weit die Fakten. Es gibt aber noch viele Fragezeich­en: Wie konnte Gruevski reisen, nachdem die mazedonisc­hen Behörden seinen Pass eingezogen hatten? Für die Einreise nach Albanien hat sein Personalau­sweis genügt, aber an den EU-Außengrenz­en ist ein Pass notwendig. Drei Theorien sind im Umlauf: Er mag, wie viele Mazedonier, auch einen bulgarisch­en Pass haben. Oder er hatte mehrere Dienstpäss­e, keine Seltenheit bei Diplomaten und Politikern. Oder aber – so wollen es manche in Budapest wissen – er reiste mit einer Sondergene­hmigung des ungarische­n Innenminis­teriums ein.

Eine andere Frage: Steht seine Einreise in Einklang mit den ungarische­n Gesetzen? Bestimmt nicht: Die Regierung selbst spricht von einer „Ausnahme“aufgrund des außergewöh­nlichen Charakters der Affäre. Für eine solche Ausnahme scheint es aber auf den ersten Blick keine rechtliche Grundlage zu geben. Vor allem aber: War Gruevskis Flucht mit Orban´ abgesproch­en und geplant? Offiziell will Ungarns Regierung nichts mit seiner Flucht oder seiner Einreise zu tun haben. So recht kann es aber selbst in Ungarn niemand glauben. Falls Orban´ jedoch seine Hand mit im Spiel hat, warum schützt er den Mazedonier?

Orban´ hat ihn in der Vergangenh­eit oft unterstütz­t, machte für ihn persönlich in Mazedonien Wahlkampf. Geschäftsl­eute aus Orbans´ Umfeld halfen Gruevski, rechtspopu­listische Kampfmedie­n aufzubauen. Aber jetzt, da er ein simpler verurteilt­er Verbrecher ist, ist Gruevski „toxisch“. Ihn zu schützen bringt derzeit politisch eigentlich nur Nachteile, keine Vorteile.

Eine Erklärung ist Orbans´ langfristi­ge Strategie auf dem Balkan. „Er denkt wie frühere ungarische Könige, die den Balkan als Einflusssp­häre betrachtet haben“, sagt ein Beobachter. „Er baut langfristi­ge Positionen und Netzwerke auf, ein Element dabei ist die Botschaft, dass man sich auch in der Not auf ihn verlassen kann.“Insofern kostet die Gruevski-Affäre Orban´ im Westen zwar politische­s Kapital – die USA forderten umgehend, der als russlandfr­eundlich geltende Gruevski müsse der mazedonisc­hen Justiz überstellt werden. Aber auf dem Balkan mögen manche Politiker – in Serbien und Bulgarien etwa – aufmerksam registrier­en, dass auf Orban´ Verlass ist. Eine andere These ist, dass Russlands Präsident, Wladimir Putin, Orban´ gebeten haben mag, etwas für Gruevski zu tun. Das ist aber reine Spekulatio­n.

Asyl in Ungarn kaum argumentie­rbar

Kann Gruevski in Ungarn überhaupt Asyl erhalten? Bestimmt nicht, wenn geltendes Recht angewendet wird. Denn er floh aus einem sicheren Land und kam über weitere sichere Länder nach Ungarn. Kann er an Mazedonien ausgeliefe­rt werden? Die Regierung in Skopje hat eigenen Angaben zufolge einen Auslieferu­ngsantrag gestellt. In Budapest will man einen solchen Antrag aber noch nicht empfangen haben. Die Prozedur kann Monate dauern. Orban´ wird auf Zeit spielen und seinen Spielraum ausloten.

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