Die Presse

Zwölf-Stunden-Tag: „Die Freiwillig­keit ist für den Hugo“

Nationalra­t. Die SPÖ schoss sich im Parlament auf die Koalition ein. Diese entgegnete, dass flexiblere Arbeitszei­ten den Standort stärken würden.

- VON PHILIPP AICHINGER

Taferln, Rufe, Stimmengew­irr: Es hatte ein bisschen was von einer Fußballsta­dionstimmu­ng, die am Freitag im Nationalra­t herrschte.

„Anfangen!“, schrie jemand aus dem Plenum, weil sich die Sitzung zunächst verzögerte. „Die Zuseher auf den Fernsehbil­dschirmen können die Diskussion so nicht verfolgen“, mahnte Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka später, als mehrere Abgeordnet­e gleichzeit­ig etwas rufen wollten. „Sie können Ihre Taferln einpacken und vielleicht für die Sonnwendfe­ier im nächsten Jahr verwenden“, empfahl wiederum ÖVPKlubche­f August Wöginger den SPÖ-Mandataren.

Die Zahlen zwölf und 60 - jeweils durchgestr­ichen – waren auf den Taferln zu sehen. Sie standen für den Zwölf-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Arbeitswoc­he, deren Freiwillig­keit die Sozialdemo­kraten bezweifeln. Die SPÖ hatte deswegen im Parlament eine Dringliche Anfrage gestellt. „Die Freiwillig­keit ist für den Hugo“, drückte es SPÖ-Gewerkscha­fter Beppo Muchitsch aus. „Zuvor hatte bereits seine Parteichef­in, Pamela Rendi-Wagner, die Regierung angegriffe­n. „Ihr Arbeitszei­tgesetz ist schlecht, und Sie wissen das auch“, sagte Rendi-Wagner. Die ersten Monate seit Inkrafttre­ten der Novelle Anfang September hätten gezeigt, dass Arbeitnehm­er gezwungen werden, zwölf Stunden pro Tag zu arbeiten.

Erbost war die Opposition darüber, dass Kanzler Sebastian Kurz sich nicht den Abgeordnet­en stellte. Er war wegen der Causa Brexit nach Brüssel geflogen und ließ sich kurzfristi­g von Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck (ÖVP) vertreten, die aber zu spät kam und die Sitzung um einige Minuten verzögerte. Dafür entschuldi­gte sich die Ministerin auch, während sie das Gesetz zur Arbeitszei­tflexibili­sierung verteidigt­e.

Es gehe darum, den Standort zu stärken, betonte die Ministerin. Sie verwies auf das für seinen Sozialstaa­t bekannte Schweden. Dort sei es erlaubt, bis zu 13 Stunden am Tag zu arbeiten. Aber sowohl die Gesundheit als auch die Lebenserwa­rtung seien dort besser als in Österreich. Die SPÖ solle die Vorteile der Novelle beherzigen und nicht „politische­s Kleingeld wechseln“.

Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) nahm die Gewerkscha­ft in die Pflicht: „Ihr wolltet ewig verhandeln, die Chance habt ihr damals vergeigt“, erklärte sie. Nur, weil es ein paar Fälle geben soll, in denen das Gesetz missbrauch­t worden sei, wolle man nicht anderen die Möglichkei­t der flexiblen Arbeitszei­t nehmen. Die Vertreter der Koalition betonten, dass der Acht-Stunden-Tag die Norm bleibe und die SPÖ in der Regierung Kern auch Pläne zur Arbeitszei­tflexibili­sierung gehabt habe. Und der Zwölf-Stunden-Tag bleibe auf jeden Fall freiwillig.

Arbeitgebe­r würden sehr wohl den Zwölf-Stunden-Tag von ihren Mitarbeite­rn einfordern, meinte Daniela Holzinger von der Liste Pilz. Die Regierung sei vor der Wirtschaft­slobby in die Knie gegangen. Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger verteidigt­e die Arbeitszei­tflexibili­sierung, der ihre Partei zugestimmt hatte. Es würden sich aber die Fälle der Rechtsunsi­cherheit häufen, kritisiert­e sie. Schuld daran sei die Koalition, weil sie das Gesetz so schnell durchpeits­chen wollte. Türkis-Blau solle daher nun, „vom hohen Ross herunterko­mmen“und Nachverhan­dlungen aufnehmen.

Eine Nachbesetz­ung gab es in den SPÖ-Reihen: Die Niederöste­rreicherin Katharina Kucharowit­s (35) übernahm das Mandat von Altkanzler Christian Kern.

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