Von Bregenz bis Britannien: Kurz polarisiert
In Vorarlberg sah er sich einer schwarz-blauen Regionalphalanx gegenüber. Die „Times“widmet ihm fünf Seiten. Die Bürger, die das Gespräch suchten, waren Vorarlberger Lokalpolitiker.
Eigentlich hatte das Publikum am Donnerstag einen EU-„Bürgerdialog“mit Bundeskanzler Sebastian (ÖVP) im Bregenzer Landhaus erwartet. Als der zu spät gekommene Kanzler nach einem Statement gleich zum nächsten Termin weiterwollte, erhoben die Bürger dann tatsächlich ihre Stimme: Das Publikum hatte nämlich geglaubt, mit Kurz zumindest ein paar Worte wechseln zu können, weshalb Teile des Publikums lautstark den Dialog mit dem Regierungschef einforderten. „Wir gehen lieber auf die Straße demonstrieren, als hier zu sitzen, wenn Sie hier nicht mit uns reden wollen“, rief Klaus ÖVP-Ersatzmitglied der Stadtvertretung von Hohenems, Kurz bei dessen Abgang zu. Der Kanzler kehrte daraufhin um, um auf die Fragen aus dem Publikum einzugehen: „Bitte, wer möchte?“
Kurz sah dabei sich mit einer schwarz-blauen Koalition der anderen Art konfrontiert. Neben Begle ergriff auch Sigrid FPÖ-Mitglied der Stadtvertretung Hohenems, das Wort. Sie und Begle sind zudem Initiatoren jüngster Asyldemos in Vorarlberg. Sie thematisierte den aktuel- len Vorarlberger Abschiebefall einer schwangeren Frau und ihrer Familie. „Wie können Sie es verantworten“, fragte Brändle den Kanzler, „dass unschuldige Leute, die jahrelang gut integriert in Österreich lebten, morgens aus dem Bett geholt und abgeschoben werden?“Dass die Bundesregierung die Forderung Vorarlbergs nicht höre, humanitäres Bleiberecht wieder zur Länderkompetenz zu machen, empfinde sie als „eine Unverschämtheit bis zum Gehtnichtmehr“. Das humanitäre Bleiberecht sei nicht unter Türkis-Blau in die Bundesverantwortung gewandert, sagte Kurz – „bevor Sie sich total empören“.
Die grüne Landtagsabgeordnete Vahide die fragte, was nun konkret vonseiten des Bundes ob der Vorarlberger Forderung unternommen würde, fand Kurz’ Gesprächsbereitschaft immerhin „wertschätzend“– auch, wenn er unkonkret geantwortet habe. So hatte Kurz etwa auf ihre Frage gemeint, durch Asyldebatten würde sich ihm oder Innenminister Herbert
(FPÖ) gegenüber „Hass entwickeln“. Nicht Politiker würden über das Bleiberecht entscheiden, sondern Richter – eine der vielen Stellen, bei denen es zu hörbarem Tumult im Saal im Landhaus kam. Aus dem Publikum, das aus Politikern, Schülern und interessierten Bürgern bestand, ka- men immer wieder Zwischenrufe – und Applaus. (Die Aufzeichnung des gesamten „Bürgerdialogs“findet sich auf der Website des Landtags.)
In einem Interview mit den „Vorarlberger Nachrichten“ging der Kanzler dann noch einmal darauf ein: Die Vorarlberger seien selber für die „unfassbare Abschiebung“verantwortlich, die Feldkircher Filiale der AsylBundesbehörde habe schließlich die Entscheidung getroffen. Kurz kündigte bei einer Wiederholung eines derartigen Falles Bundeskontrollen an.
Die Mühen der Ebene könnte Kurz mit der Lektüre der Londoner „Times“hinter sich lassen: Janice porträtierte ihn auf fünf Seiten des Wochenendmagazins der Zeitung als „Wunderkind“, das man mit Argusaugen beobachten solle. Turner versuchte sich während eines Wien-Besuchs der Persönlichkeit des Kanzlers anzunähern: „Ist er ein junger Radikaler? Ein gefährlicher Anti-Migrationsanführer im Bett mit der extremen Rechten? Oder beides?“Die Autorin gibt keine wirkliche Antwort – stattdessen vergleicht sie Kurz mit Ex-Tory-Minister George „Ein politisches Faktotum, das es liebt, mit Ideen zu rangeln.“