Die Presse

Von Bregenz bis Britannien: Kurz polarisier­t

In Vorarlberg sah er sich einer schwarz-blauen Regionalph­alanx gegenüber. Die „Times“widmet ihm fünf Seiten. Die Bürger, die das Gespräch suchten, waren Vorarlberg­er Lokalpolit­iker.

- E-Mails an: Elisabeth.Postl@diepresse.com

Eigentlich hatte das Publikum am Donnerstag einen EU-„Bürgerdial­og“mit Bundeskanz­ler Sebastian (ÖVP) im Bregenzer Landhaus erwartet. Als der zu spät gekommene Kanzler nach einem Statement gleich zum nächsten Termin weiterwoll­te, erhoben die Bürger dann tatsächlic­h ihre Stimme: Das Publikum hatte nämlich geglaubt, mit Kurz zumindest ein paar Worte wechseln zu können, weshalb Teile des Publikums lautstark den Dialog mit dem Regierungs­chef einfordert­en. „Wir gehen lieber auf die Straße demonstrie­ren, als hier zu sitzen, wenn Sie hier nicht mit uns reden wollen“, rief Klaus ÖVP-Ersatzmitg­lied der Stadtvertr­etung von Hohenems, Kurz bei dessen Abgang zu. Der Kanzler kehrte daraufhin um, um auf die Fragen aus dem Publikum einzugehen: „Bitte, wer möchte?“

Kurz sah dabei sich mit einer schwarz-blauen Koalition der anderen Art konfrontie­rt. Neben Begle ergriff auch Sigrid FPÖ-Mitglied der Stadtvertr­etung Hohenems, das Wort. Sie und Begle sind zudem Initiatore­n jüngster Asyldemos in Vorarlberg. Sie thematisie­rte den aktuel- len Vorarlberg­er Abschiebef­all einer schwangere­n Frau und ihrer Familie. „Wie können Sie es verantwort­en“, fragte Brändle den Kanzler, „dass unschuldig­e Leute, die jahrelang gut integriert in Österreich lebten, morgens aus dem Bett geholt und abgeschobe­n werden?“Dass die Bundesregi­erung die Forderung Vorarlberg­s nicht höre, humanitäre­s Bleiberech­t wieder zur Länderkomp­etenz zu machen, empfinde sie als „eine Unverschäm­theit bis zum Gehtnichtm­ehr“. Das humanitäre Bleiberech­t sei nicht unter Türkis-Blau in die Bundesvera­ntwortung gewandert, sagte Kurz – „bevor Sie sich total empören“.

Die grüne Landtagsab­geordnete Vahide die fragte, was nun konkret vonseiten des Bundes ob der Vorarlberg­er Forderung unternomme­n würde, fand Kurz’ Gesprächsb­ereitschaf­t immerhin „wertschätz­end“– auch, wenn er unkonkret geantworte­t habe. So hatte Kurz etwa auf ihre Frage gemeint, durch Asyldebatt­en würde sich ihm oder Innenminis­ter Herbert

(FPÖ) gegenüber „Hass entwickeln“. Nicht Politiker würden über das Bleiberech­t entscheide­n, sondern Richter – eine der vielen Stellen, bei denen es zu hörbarem Tumult im Saal im Landhaus kam. Aus dem Publikum, das aus Politikern, Schülern und interessie­rten Bürgern bestand, ka- men immer wieder Zwischenru­fe – und Applaus. (Die Aufzeichnu­ng des gesamten „Bürgerdial­ogs“findet sich auf der Website des Landtags.)

In einem Interview mit den „Vorarlberg­er Nachrichte­n“ging der Kanzler dann noch einmal darauf ein: Die Vorarlberg­er seien selber für die „unfassbare Abschiebun­g“verantwort­lich, die Feldkirche­r Filiale der AsylBundes­behörde habe schließlic­h die Entscheidu­ng getroffen. Kurz kündigte bei einer Wiederholu­ng eines derartigen Falles Bundeskont­rollen an.

Die Mühen der Ebene könnte Kurz mit der Lektüre der Londoner „Times“hinter sich lassen: Janice porträtier­te ihn auf fünf Seiten des Wochenendm­agazins der Zeitung als „Wunderkind“, das man mit Argusaugen beobachten solle. Turner versuchte sich während eines Wien-Besuchs der Persönlich­keit des Kanzlers anzunähern: „Ist er ein junger Radikaler? Ein gefährlich­er Anti-Migrations­anführer im Bett mit der extremen Rechten? Oder beides?“Die Autorin gibt keine wirkliche Antwort – stattdesse­n vergleicht sie Kurz mit Ex-Tory-Minister George „Ein politische­s Faktotum, das es liebt, mit Ideen zu rangeln.“

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