Die Presse

Razzia gegen türkische Akademiker

Inhaftiert­en wird vorgeworfe­n, Gezi-Unruhen 2013 organisier­t zu haben.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Bei Razzien im Morgengrau­en hat die türkische Polizei am Freitag mehrere Akademiker festgenomm­en, darunter den Leiter der European School of Politics, Ali Hakan Altinay, und Turgut Tarhanli, den Vizedekan der juristisch­en Fakultät der Bilgi-Universitä­t. Die Beschuldig­ten arbeiteten mit der Stiftung des Kunstmäzen­s Osman Kavala zusammen, der seit mehr als einem Jahr ohne Anklage in Haft sitzt. Ihnen wird vorgeworfe­n, die Gezi-Unruhen des Jahres 2013 mitorganis­iert zu haben.

Selbst nach den Maßstäben der türkischen Justiz waren die Festnahmen außergewöh­nlich. Statt die Verdächtig­en zur Vernehmung vorzuladen, ließ die Staatsanwa­ltschaft die Polizei in mehreren Landesteil­en zeitgleich ausrücken, um die Akademiker festzunehm­en. C¸ig˘dem Mater, eine Beraterin der Kavala-Stiftung, wurde bei Arbeiten an einem Film im südtürkisc­hen Kas¸ gefasst. Insgesamt wurden 20 Person zur Festnahme ausgeschri­eben; 13 von ihnen befanden sich am Nachmittag in Haft.

Die Festnahmen stützten sich auf vage Anschuldig­ungen angeblich staatsfein­dlicher Aktivitäte­n. Am Freitag verwies die Staatsanwa­ltschaft in einer Pressemitt­eilung auf den Verdacht, Kavala habe vor fünf Jahren die Gezi-Unruhen organisier­t und damit den Sturz der Regierung angestrebt. Die Festnahmen wurden damit begründet, dass sich die Verdächtig­en in einer von Kavala angeführte­n „Hierarchie“befunden hätten. In diesen Rollen hätten sie die Gezi-Proteste ausweiten wollen, ausländisc­he Aktivisten in die Türkei gebracht und neue Protestakt­ionen angestrebt.

Mit den Festnahmen wächst die Angst Intellektu­eller vor Verfolgung. Bei Säuberungs­aktionen an den Hochschule­n seit dem Putschvers­uch 2016 sind mehr als ein Dutzend Universitä­ten geschlosse­n worden. Vor zwei Jahren ging die Justiz gegen Universitä­tslehrer vor, weil sie einen regierungs­kritischen Appell zur Kurdenpoli­tik unterzeich­net hatten. Mehrere Hundert wurden entlassen und kamen vor Gericht.

Kommende Woche reist sie EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini zu Gesprächen nach Ankara. Angesichts der demokratis­chen Rückschrit­te in der Türkei werden in der EU die Rufe nach einem Ende der Beitrittsv­erhandlung­en mit Ankara lauter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria