Die Presse

Wie der Saudi-Kronprinz den Fall Khashoggi aussitzt

Türkei. Trauerfeie­rn für ermordeten saudischen Journalist­en und Dissidente­n Khashoggi. Ankara will neue Beweise vorlegen, die den saudischen Regenten belasten: Mohammed bin Salman wird vermutlich trotzdem im Amt bleiben.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Die Trauergeme­inde versammelt­e sich nach dem Mittagsgeb­et. Hunderte Gläubige stellten sich auf dem Hof der FatihMosch­ee in Istanbul auf, um das Totengebet zu sprechen – doch der Marmortisc­h, auf dem normalerwe­ise der Sarg des Verstorben­en aufgebahrt wird, blieb leer.

Mit der Trauerkund­gebung vor einer der größten Moscheen der Stadt wurde der saudische Journalist und Dissident Jamal Khashoggi geehrt, der am 2. Oktober im saudischen Konsulat von Istanbul ermordet wurde. Die Feier war zugleich eine politische Demonstra- tion gegen Saudiarabi­en. Auch in vielen anderen Städten der Welt, von Washington bis Jakarta, sollte des Journalist­en gedacht werden.

Die Initiative für die Istanbuler Trauerfeie­r war von seiner türkischen Verlobten, Hatice Cengiz, ausgegange­n. Mehr als sechs Wochen nach Khashoggis Ermordung durch saudische Agenten in Istanbul zeichnet sich allerdings ab, dass der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ sein Ziel, den Rücktritt des saudischen Kronprinze­n, Mohammed bin Salman, zu erzwingen, verfehlen wird.

Kurz vor der Zeremonie hatten die USA erstmals mit konkreten Schritten auf den Mord an Khashoggi reagiert. Washington er- ließ Sanktionen gegen 17 saudische Verdächtig­e, darunter einen engen Berater des Kronprinze­n, und den saudischen Konsul in Istanbul, Mohammed al-Otaibi. Nicht auf der Liste steht dagegen Ex-Geheimdien­stchef Ahmad al-Assiri, obwohl dieser als Mittäter gilt. Die saudische Staatsanwa­ltschaft fordert die Todesstraf­e für fünf Beschuldig­te. Aus Sicht der Türkei handelt es sich um Bauernopfe­r. Erst kürzlich hatte der Prinz die Türkei Teil eines „Dreiecks des Bösen“genannt, gemeinsam mit dem Iran und radikalen Islamisten.

Ankara will nun weitere Beweise vorlegen, dass saudische Agenten nach Istanbul kamen, um Khashoggi zu töten. Da die Türkei bei ihrer harten Linie bleibt, prüft die US-Regierung laut Medien eine Auslieferu­ng des Erdogan-˘Erzfeindes Fethullah Gülen an die Türkei für den Fall, dass Ankara im Gegenzug den propagandi­stischen Feldzug gegen den Kronprinze­n einstellt. Ankara lehne einen solchen Deal jedoch ab.

Trotzdem ist kaum zu erwarten, dass der Thronfolge­r zurücktret­en muss. Außenpolit­isch kann der Prinz trotz aller Kritik auf Unterstütz­ung zählen. Innenpolit­isch verfügt er als Verteidigu­ngsministe­r und Oberaufseh­er über die Geheimdien­ste über eine beträchtli­che Machtbasis. Sicherheit­sbehörden, die früher von verschiede­nen Zweigen der Königsfami­lie kontrollie­rt worden seien, unterstünd­en inzwischen allein den Thronfolge­r, betonte Yezid Sayigh vom Carnegie-Nahostzent­rum.

Allerdings wird er künftig möglicherw­eise nicht mehr so frei schalten und walten können wie bisher. Im Königspala­st von Riad steht der Prinz offenbar unter Beobachtun­g von Aufpassern, besonders seines Onkels Ahmed bin Abdulaziz, der nun aus dem Londoner Exil nach Saudiarabi­en zurückkehr­te.

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