Die Presse

Seehofers vielleicht letzter Rücktritt

CSU. 1995 drohte er mit Rücktritt, 2014 wollte er nicht mehr kandidiere­n. Erst 2019 gibt Horst Seehofer den Parteivors­itz ab. Über den einstigen „sozialen Anker“, der nur schwer loslassen kann.

- Von unserer Korrespond­entin IRIS BONAVIDA

An seiner Karriere hängt er nicht um jeden Preis. Wenn er in der Politik nicht umsetzen kann, was er möchte, muss er sich verabschie­den. Manches „ist wichtiger als mein Job“. Es spricht Minister Horst Seehofer. Im Jahr 1995.

Wie viele politische Nachrufe muss der mittlerwei­le 69-jährige Bayer schon über seine Person gelesen haben. Seit Wochen wurde über seinen Rückzug aus der Politik spekuliert, seit Monaten kokettiert­e er selbst damit, seit Jahren nutzt er ihn als Drohung. In einem Punkt unterschie­den sich die Texte allerdings immer: in der Art und Weise, wie Seehofer seine Karriere beenden wollte. Er liebt die Show, die Aufmerksam­keit, die Provokatio­n. Einmal waren es seine Parteikoll­egen, die ihm den Rücktritt nahelegten. Ein andermal er selbst, der ihn in den Raum stellte. Und nun, da es wirklich so weit ist? Kommt eine knappe, schriftlic­he Stellungna­hme. Sonst nichts.

Der CSU-Chef und Bundesinne­nminister lässt eine Erklärung ausschicke­n und auf Facebook posten: „Ich werde für den 19. Januar 2019 zu einem Sonderpart­eitag der CSU mit Neuwahl des Vorsitzend­en einladen“, heißt es. Die Partei solle sich erneuern, die Basis darüber diskutiere­n, „wie die CSU wieder mehr Vertrauen in der Bevölkerun­g gewinnen kann“.

Das war also die Erklärung, die Seehofer am Montag angekündig­t hatte? Anfang der Woche gab er bei einem Besuch eines Polizeizen­trums in Sachsen für seine Verhältnis­se mehr oder weniger nebenbei bekannt, bald seinen CSUVorsitz abzugeben. Aber: „Das Amt des Bundesinne­nministers ist von dieser Entscheidu­ng in keiner Weise berührt.“Dann fragt er in die Runde: „War das klar genug?“

Nein, war es eigentlich nicht. Wer sein Nachfolger werden soll, wie derjenige ernannt wird, ob Seehofer bis zum Ende der Legislatur­periode bleibt, wann Seehofer sich endgültig aus der Politik zurückzieh­e? Kein Kommentar.

Womöglich hat Seehofer sein Repertoire an Rücktrittv­ariationen schon aufgebrauc­ht. Immerhin drohte er 1995 als Gesundheit­sminister zum ersten Mal damit, als er eine Krankenhau­sreform durchsetze­n wollte.

Neun Jahre später zog er sich tatsächlic­h zurück, dieses Mal aus seiner Funktion als Vizefrakti­onschef der Union im Bundestag. Es ging wieder um den Gesundheit­sbereich. Seine Chefin – auch damals Angela Merkel, nur in ihrer Funktion als Fraktionsv­orsitzende – wollte die Kopfpausch­ale durchsetze­n. Der Beitrag zur Krankenver­sicherung sollte nicht mehr vom Einkommen abhängen, son- dern ein fixer Betrag sein. Seehofer kämpfte vehement dagegen an. Der „Spiegel“beschrieb ihn damals als „Schiffskan­one, die sich bei schwerer See von ihren Seilen gelöst hat und unkontroll­iert hinund herrollt und dabei das eigene Schiff zerdeppert“. Seehofer sah sich lieber als „sozialen Anker“, allgemein war er als Kämpfer für die sozial Schwachen bekannt.

Vor beinahe fünf Jahrzehnte­n trat Seehofer in die Junge Union ein, seitdem widmete er sein Leben der Politik. Er pendelt zwischen München und Berlin, aufgrund seiner Flugangst meistens mit dem Auto. 28 Jahre war er Bundestags­abgeordnet­er, kurze Zeit Staatssekr­etär, dreimal Bundesmini­ster – derzeit für Heimat, Bau und Inneres. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er aber 2008: Seehofer hatte die beiden wichtigste­n Ämter der CSU inne: Ministerpr­äsident in Bayern und Parteivors­itzender. 2013 schaffte er es sogar, die absolute Mehrheit für seine Partei zurückzuho­len. Dann gab er allerdings bekannt, dass dies seine letzte Legislatur­periode sein sollte. Ein weiteres Mal wollte er nicht mehr kandidiere­n. Als er seine Meinung doch noch änderte, schickten ihn seine Parteikoll­egen sozusagen nach Berlin. Markus Söder wurde Landeschef. Nun soll er Seehofer wohl auch als Parteivors­itzender nachfolgen.

Im Sommer, kurz vor der jüngsten Landtagswa­hl in Bayern, ging Seehofer mit Merkel und ihrer CDU auf Konfrontat­ionskurs. Die Lage eskalierte, Seehofer bot in einer CSU-Sitzung seinen Rücktritt an. Die Partei wehrte sich dagegen, er sollte wohl bis zum Urnengang im Amt bleiben. Dieses Mal hält ihn nach seiner Rücktritts­erklärung niemand zurück.

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