Die Presse

„Nationalis­mus ist der falsche Weg“

Interview. Christoph Leitl, Präsident des europäisch­en Wirtschaft­skammern-Dachverban­des Eurochambr­es, über schädliche­n Nationalis­mus, Euroskepsi­s und Migrations­probleme.

- VON JOSEF URSCHITZ

Die Presse: Herr Leitl, Sie haben anlässlich der 100-Jahre-Republik-Feiern die Wiederkehr des Nationalis­mus beklagt. Christoph Leitl: Ja, das ist eine Gefahr. Man muss nicht alles gut finden, was die Globalisie­rung bringt. Aber sie hat erreicht, dass viele Millionen Menschen, die früher in bitterer Armut waren, jetzt ein vielleicht bescheiden­es, aber doch auskömmlic­hes Leben führen können. Nationalis­mus und Protektion­ismus unterbrech­en diese Entwicklun­g.

Der Trend ist, auch in Europa, aber zweifellos da. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir weltweit verflochte­n sind. Wenn die Politik versucht, das auf die nationale Ebene zurückzufü­hren, wird sie den Herausford­erungen nicht gewachsen sein. Insofern ist Nationalis­mus also eine Kampfansag­e an die Menschen.

Wie erklären Sie das europaskep­tischen Menschen? Wir müssen klarmachen, dass wir Europäer nur noch sieben Prozent der Weltbevölk­erung sind – und entweder zusammenha­lten oder untergehen. Man muss den Menschen klarmachen, dass es um ihre Lebens- und Zukunftspe­rspektiven geht und nicht um irgendwelc­he bürokratis­chen Detailrege­lungen. Ein Problem ist, dass Europa keine Stimme hat. Jede Gemeinde hat ihre Gemeindeze­itung, Europa ist stumm.

Können sich diese sieben Prozent in einer globalisie­rten Welt überhaupt durchsetze­n? Unser Problem ist: Wir waren immer gut in der Analyse, leidlich in der Zielsetzun­g und miserabel in der Umsetzung. So werden eben die Autos der Zukunft in China entwickelt und die Kommunikat­ionstechno­logien kommen aus den USA.

Sind wir vielleicht zu vergangenh­eitsbezoge­n? Wir haben zuletzt viel über die Vergangenh­eit geredet – und das ist auch gut so. Aber in China redet man gerade darüber, wie man bis 2049 zur stärksten Wirtschaft­sund Militärmac­ht aufsteigt. Wir blicken 100 Jahre zurück, die Chinesen blicken 30 Jahre voraus.

Ein Mentalität­sproblem? Ja, aber auch ein institutio­nelles. Die EU muss handlungsf­ähiger werden. Mir schwebt eine Aufwertung des europäisch­en Rates zu einer Föderalism­uskammer nach dem Muster des amerikanis­chen Repräsenta­ntenhauses vor. Und die EU-Kommission muss wie eine Regierung agieren können. Dazu muss das Einstimmig­keitsprinz­ip weg. Das ist ein Blockadein­strument. Wenn etwa eine vernünftig­e Unternehme­nsbesteuer­ung von Malta blockiert werden kann, dann hat das mit Demokratie nichts zu tun.

Österreich wird den UN-Migrations­pakt nicht unterschre­iben. Eine schlaue Idee? Ich kommentier­e die österreich­ische Politik nicht. Ich weiß aber natürlich, dass Migration und Integratio­n große Probleme sind und auch die kommenden Europawahl­en beherrsche­n werden. Wir müssen hier den einfachen Lösungen der Populisten gegenhalte­n und eine lösungsori­entierte Zukunftspe­rspektive entwickeln.

Was schlagen Sie vor? Wir haben schon eine Menge Migranten legal im Land. Die können wir entweder arbeitslos herumsitze­n lassen und versorgen – oder in den Arbeitspro­zess integriere­n. Dafür habe ich etwa das Modell einer Integratio­nsprämie entwickelt, wo statt Arbeitslos­e oder Mindestsic­herung aus den Überschüss­en des europäisch­en Sozialfond­s eine Prämie an jene Betriebe bezahlt werden könnte, die Migranten beschäftig­en und ihnen Fähigkeite­n vermitteln. Derzeit beherrsche­n wir die Frage der Integratio­n nicht. Es gibt ein paar gute Ideen, aber keine Strategie.

Eigentlich brauchen wir ja fertige Fachkräfte... Da haben wir viel versäumt. Die besten Leute sind schon in Kanada, Australien oder sonst irgendwo, wo sie willkommen sind. Wir haben die Tore verriegelt, uns vermeintli­ch geschützt, und haben jetzt ein Problem. Vor allem müssen wir aber endlich zwischen Asyl und Migration unterschei­den. Asylanten sind die, die unsere Hilfe brauchen, gut ausgebilde­te Migranten sind die, deren Hilfe wir brauchen. Bei uns läuft alles unter „Ausländer“– und fertig.

Innerhalb Europas lässt sich der Fachkräfte­mangel nicht beseitigen? Wir haben europaweit zwei zentrale Aufgaben in der Bildungspo­litik: Wir müssen erstens das Ungleichge­wicht am Arbeitsmar­kt beseitigen. Es gibt zu viele Arbeitslos­e bei gleichzeit­ig zu vielen fehlenden Fachkräfte­n. Und wir müssen die Mobilität innerhalb Europas verbessern.

Europäer sind zu immobil? Früher ist man nach der Lehre auf die Walz gegangen. Heute haben wir Regionen mit 50 Prozent Ju- gendarbeit­slosigkeit und andere mit Lehrlingsm­angel. Aber viele bleiben lieber daheim und schauen, wie sie irgendwie über die Runden kommen. Wir sollten uns jetzt aber nicht über Spanier oder Italiener aufregen, die nicht nach Österreich oder Deutschlan­d kommen. Es gehen ja nicht einmal arbeitslos­e Wiener Köche nach Vorarlberg.

Woran könnte das denn liegen? Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass bei der Work-Life-Balance momentan die Life-Balance einen größeren Stellenwer­t zu haben scheint. Dabei hat jeder junge Mensch in Europa, der etwas aus sich machen will, eine tolle Chance, wenn er beweglich genug ist.

Wo liegen denn die aktuellen Arbeitssch­werpunkte der Eurochambr­es-Organisati­on, der Sie vorstehen? Bildung, Innovation, Kreislaufw­irtschaft und Stabilität des Finanzsyst­ems.

Das ist noch nicht stabil genug? Die österreich­ischen Banken sind wegen ihrer starken Konzentrat­ion auf die Realwirtsc­haft gut aufgestell­t. Aber insgesamt hat man aus der letzten Finanzkris­e zu wenig gelernt. Es gibt noch immer dieses Offshore-Problem und zu viel Finanzspek­ulation. Weg damit!

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[ Lucas Aigelsreit­her ]

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