Die Presse

Wer hat denn die Zinspeitsc­he versteckt?

Die Inflation nimmt an Fahrt auf – und die EZB unternimmt nichts.

- Josef.urschitz@diepresse.com

D ie Inflations­rate ist in der Eurozone im Oktober also auf 2,2 Prozent gestiegen, die vergleichb­are österreich­ische sogar auf 2,4. Und der von der Statistik Austria ermittelte „Wocheneink­auf“-Index – ein für die meisten Menschen wesentlich lebensnähe­rer Teuerungsi­ndikator – liegt unterdesse­n gar bei 4,9 Prozent.

Ganz schön viel für eine Nullzinsum­gebung, die in diesem Fall die Sparguthab­en in atemberaub­endem Tempo entwertet. Und jedenfalls deutlich mehr als das von der EZB festgesetz­te Stabilität­sziel, das eine Teuerungsr­ate von knapp unter zwei Prozent vorsieht.

Eigentlich müssten die Währungshü­ter jetzt mit der Zinspeitsc­he hineingrät­schen. Tun sie aber nicht. Nach derzeitige­m Stand wird wohl noch ein Jahr vergehen, bis sie vorsichtig an der Zinsschrau­be zu drehen beginnen.

Sie sind aber auch in einer teuflische­n Situation: Ziehen sie die Zinsen, wie das Umfeld eigentlich nahelegen würde, deutlich an, dann bringen sie Länder wie Italien an den Rand des Staatsbank­rotts. Denn Italien hat, wie andere, aber weniger wackelige Euroländer auch, die Niedrigzin­sen keineswegs für Strukturre­formen und Budgetsani­erung genutzt. Sondern das Ganze eher als willkommen­e Gelegenhei­t zum Weiterwurs­teln gesehen. D ie Währungshü­ter werden jetzt allerdings argumentie­ren, dass die Situation noch nicht ernst sei. Erstens lässt die inflations­treibende Konjunktur, wie EZB-Chef Mario Draghi gestern betont hat, ohnehin gerade nach. Und zweitens liegt die sogenannte Kerninflat­ion in der Eurozone erst bei 1,1 Prozent. Kerninflat­ion ist die Teuerung ohne Energie- und Lebensmitt­elpreise. Eine in der Ökonomie durchaus sinnvolle Kennziffer, die allerdings den Menschen, die auch Lebensmitt­el und Treibstoff­e bezahlen müssen, herzlich wenig hilft.

Wie auch immer: Derzeit ist die Inflation noch kein wirklich existenzie­lles Thema. Aber die jetzige Nichtreakt­ion ist ein Warnsignal. Denn wenn irgendwann auch die Kerninflat­ion anzieht und die EZB dann vor der Wahl steht, ob sie Italien in den Bankrott und damit den Euro in die nächste Krise schicken oder die Inflation davongalop­pieren lassen soll, dann wird es spannend.

Keine gute Ausgangssi­tuation, vor der wir da stehen. Aus den diversen Staatsschu­ldenkrisen der Vergangenh­eit hat Europa wohl nichts gelernt.

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