Die Presse

Der Verrat kommt häufig ganz am Anfang

Wer in einem Drama Felix heißt, muss es nicht sein.

- VON NORBERT MAYER E-Mails: kultur@diepresse.com

W ir Adepten der Kürze in der weiten Steppe des „Gegengifte­s“von Erdberg lieben Zitate aus berühmten Dramen, die es auch nach mehr als hundert Jahren noch nicht geschafft haben, zu geflügelte­n Worten zu werden. Jedermann kennt wahrschein­lich den Satz „. . . die Seele . . . ist ein weites Land . . .“, er hat sich ins kollektive Gedächtnis Kakaniens fast so tief eingebrann­t wie „. . . es ist ein gutes Land . . .“oder „Die edelste Nation unter allen Nationen ist die Resignatio­n“. Zur Nebensache wird, wer das zu wem bei Grillparze­r, Schnitzler oder Nestroy gesagt hat. Diese Sätze wurden von uns einverleib­t und sind dermaßen verinnerli­cht, dass sie fast schon keine Bedeutung mehr haben.

Interessan­ter sind aber jene Passagen, die nicht so bedeutungs­schwer, sondern wie beiläufig daherkomme­n. Nehmen wir zum Beispiel den Beginn von „Der einsame Weg“. Der Vorhang hat sich bereits geöffnet, die Zuseher sind noch gar nicht still, da sagt Johanna, sich umwendend, zu ihrem Bruder: „Felix!“Dieser antwortet: „Ja, ich bin’s.“Was für ein Täuschungs­manöver des Dr. Schnitzler! Felix bedeutet glücklich, doch bald wird sich herausstel­len, dass die jungen Leute nicht einmal ausgeglich­en sind. Wer weiß da auch schon, dass dieser Felix ein ganz anderer sein könnte als vermutet? H ätten die Geschwiste­r gleich „Unglücklic­her!“und „Ich bin’s doch nicht“gesagt, wäre aus dem Gesellscha­ftsdrama mit Kollateral­schäden vielleicht eine echte Tragödie geworden. Nein, Schnitzler hat mit seiner Ablenkung recht. Noch raffiniert­er macht das Anton Tschechow in „Platonov“. Trileckij: „Ist was?“Anna Petrowna: „Nein . . .“Da ist doch längst schon alles klar.

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